Buenos Aires
Geschrieben von Timo
Nach dem gescheiterten Versuch am "free" Dienstag (siehe Beitrag Streit und Komödie) gaben wir dem Museo de Arte Moderno de Buenos Aires eine zweite Chance- und das Museum innerhalb einer
alten Fabrikhalle war tatsächlich geöffnet. Nach einem freundlichen Hinweis, dass wir unseren Rucksack doch bitte im Schließfach hinterlassen sollen, ging es in die Ausstellung. Die erste
war eine Sonderausstellung des Künstlers Sergio de Loof , der sich mit Videos, Bildern und v.a. Modenschaus aus vermeintlichen Müll und Videos von wilden Partys mit
sehr liberaler Sexualität und wilden Outfits in seinen eigenen Nachtclubs in Buenos Aires in den 1990er Jahren profiliert hat. Auch ein Film von einer Theaterdarstellung der Leiden des
jungen Werthers, die von ihm kreiert wurde, wurde in der Ausstellung präsentiert. Alles war sehr bunt und verrückt, so dass man sich daran erinnert, aber nichts was einen beeindrucken oder
beeinflussen würde.
In weiteren Ausstellungsbereichen ging es um moderne Kunst aus Argentinien aus den letzten 5 Jahrzehnten etwa. Teilweise war die Kunst extrem abstrakt, womit Franzi und ich sehr wenig anfangen können. Manche Kunstwerke waren weder abstrakt noch besonders eindeutig, aber oft sehr düster. Gerade Franzi tut sich mit Gemälden aus sehr düsteren Farben mit einigen Mustern oder Andeutungen schwer. Auch einige plastische Kunstwerke erinnerten eher an Unfälle oder brutale Szenerien.
Im Keller gab es noch eine Ausstellung des Künstlers Alfredo Londaibere, der immerhin viele bunte und konkrete Formen malte, allerdings stellten die Gemälde eher fiktive Situationen und abgefahrene Figuren da, mit denen wir auch nicht sehr viel anfangen konnten.
Zum Abschluss fragten wir am Eingang was denn mit den Gemälden von Picasso und einigen weiteren, renommierten, internationalen Künstlern sei, die im Reiseführer angekündigt waren. Die Antwort war etwas unbefriedigend. "Leider stehen diese Gemälde bei uns im Lager, da wegen der anderen Ausstellungen derzeit kein Platz für diese ist", wurde uns gesagt. Franzi war not amused, da sie vor allem wegen dieser Kunstwerke ins MAMBA wollte und mit den anderen Ausstellungsstücken wenig bis sehr wenig anfangen konnte. Auch bei mir bestätigte sich nochmal der Eindruck, dass oftmals moderne Kunst etwas ist mit dem ich wenig anfangen kann. Dennoch finde ich es spannend mich ab und an damit zu beschäftigen, alleine um zu schauen, was es alles so gibt.
Nach einigen Stunden, denen wir der modernen Kunst ausgesetzt waren, wollten wir uns nun erstmal leckerem Essen hingeben. Wir gingen ins nahegelegende Hierbabuena (dt. etwa: Gute Kräuter), ein Bio-Restaurant in San Telmo südlich der Avenida San Juan. Genau genommen ist es Café, Supermarkt und Restaurant in einem. Es gab super leckere Sachen in der Karte, von denen leider ganz viel nicht verfügbar war, da die Küche erst ab 8 Uhr abends aufmacht. Trotz Enttäuschung hatten wir ein tolles Abendessen. Jeder von uns nahm ein sehr leckeres Sandwich, ich hatte dazu einen Matcha- Chai Latte und Franzi einen leckeren, grünen Smoothie. Auf dem Tisch an der Straße wuchsen frische Tomaten. Während des Dinners überlegten wir uns was wir denn am Abend noch machen wollen. Eigentlich müsste man ja noch etwas Kultur konsumieren oder zumindest nicht nur im Hostel sitzen. Kurzerhand checkten wir den Spielplan des CCK (Centro Cultural Kirchner, das ehemalige Hauptpostamt von BA, das erst vor einigen Jahren zu einem Kulturpalast mit Konzerthallen und Ausstellungen umgebaut wurde). Und tatsächlich- es sollte ein Konzert von Frauen aus ländlichen Regionen Argentiniens geben. Und das sogar kostenlos und nur eine Stunde später!
Wir fuhren mit dem Bus um die Plaza de Mayo und erreichten das CCK, vor dem eine riesige Schlange stand. Wir befürchteten keine Karten zu bekommen, aber die lange Schlange vor dem Gebäude galt einem Bus, der von dem Platz vor dem Gebäude abfahren sollte. Ähnliche Szenen hatten wir schon vor 2 Monaten am selben Ort mit Dome und Charlie beobachtet, als wir aus Puerto Madero gelaufen kamen. Glücklich darüber, dass wir nicht so lange anstehen mussten, gingen wir ins Gebäude. Nach einigen Mitarbeitern, die wir gefragt haben, sind wir doch relativ schnell an Karten für eben jenes Konzert gekommen, das wenig später losgehen sollte. Wir aßen noch schnell einen Hot Dog vor dem CCK, machten ein paar hübsche Fotos in der Abendsonne, gingen auf Klo und wollten dann in den Konzertsaal. Wie sich herausstellte, war die riesige Schlange, die fast einmal den gesamten inneren Umfang des Gebäudes abdeckte, die an die wir uns auch anstellen mussten. Damit war klar, dass das Konzert nicht in 10 Minuten anfangen würde. Wir stellten uns an die Schlange an, die einen großen Blauwal umgab. Nein es geht nicht um eine animalische Szene sondern es standen die Menschen um einen riesigen Holzbau im Atrium des riesigen Gebäudes an, der die Form eines Blauwals hat und auch entsprechend farblich angeleuchtet wird. Während des Wartens lasen wir noch etwas im Marco Polo Reiseführer bis es schließlich los ging. Als wir am historischen Beginn der Schlange angekommen waren, ging es eine Rolltreppe hoch zu einigen Eingängen des nun nicht mehr als Blauwal zu erkennenden Konzertsaals. Einige Leute vor uns wurden mit ihren Tickets abgewiesen, wohl weil sie Tickets für ein anderes Konzert auf dem "Dachboden" des Gebäudes zur gleichen Zeit hatten. Schon befürchteten wir ähnliches für uns, aber wir hatten Glück und wurden eingelassen. Es war schon relativ voll und da wir freie Platzwahl hatten, versuchten wir im zentralen Tribünenbereich noch Plätze zu ergattern. Es waren auch noch einige frei, allerdings stand ein Typ mit CCK Shirt und Absperrband davor. Auf Nachfrage, ob wir auf diesen Plätzen sitzen dürften, gab es keine Antwort. Es war als hätten wir nicht gefragt. Er schaute weiter durch die Halle und passte auf, dass sich niemand in diesen Bereich setzte. Kurioserweise konnte man sich von der anderen Seite des Saales eben auf jene Plätze setzen, ohne an einer Sicherheitsperson vorbeizugehen. Letztlich blieben diese Plätze auch ohne erkennbaren Grund frei. Folglich suchten wir uns andere Plätze schräg oberhalb der Bühne, wo noch etwas frei war. Hier war lediglich eine Sitzreihe gebaut worden, die auch relativ wenig Beinfreiheit bot. Vor uns ging ein anderes Pärchen an den schon sitzenden Gästen vorbei und wir folgten. Verständlicherweise nahm sich das Pärchen die ersten, freien Plätze, um nicht zu weit hinter der Bühne zu sitzen, wo es auch noch viele andere Plätze gab. Aber statt kurz stehen zu bleiben und uns auf die weiteren Plätze durchzulassen, setzten sie sich so hin, dass wir gar nicht anders konnten, als ihre Beine heftig zu berühren. Die entsprechenden empörten Blicke und Laute dieser Konzertbesucher füllen mich bis jetzt mit Unverständnis.
Nach diesem aufwühlenden Moment machten wir es uns gemütlich und legten die Beine auf der Brüstung ab und beobachteten wir der Mitarbeiter in der Mitte des Saales auch weitere, verwirrte Zuseher abwies sich auf die leeren, guten Plätze zu setzen. Um kurz vor halb neun, dreißig Minuten nach offiziellem Beginn, ging es schließlich los. Einige Frauen in schicken, schwarzen, unterschiedlichen Outfits betraten die Bühne. Eine setzte sich ans Klavier, neben dem auch ein Schifferklavier stand, eine an den Kontrabass, eine hinters Schlagzeug und die anderen beiden nahmen Geige bzw. Mikrofon in die Hand. Es gab eine kurze, spanische Einleitung ehe die Frau mit dem Mikrofon, die auch eine Muschelkette am Knöchel hatte, eine weitere Frau ankündigte. Diese stellte sich als Sängerin heraus, präsentierte den ersten Song und ging dann unter viel Applaus wieder ab. So ging es danach auch weiter. Die Frau mit der Muschelkette, die auch einige Trommeln vor sich hatte, kündigte immer wieder neue Sängerinnen an, die dann ihre Folklore Lieder präsentierten. Dabei wechselten immer mal wieder die Instrumente durch, Musikerinnen, die für ein Stück nicht gefragt waren, gingen immer vor der Ansage des nächsten Liedes ab. Ich fand die Lieder alle nett, aber nicht sehr berührend. Das änderte sich als eine Frau indianischen Ursprungs die Bühne betrat und alle anderen Musikerinnen abgingen. Sie hatte lediglich ein Tamborin und sang ein tolles Lied und wurde vom Saal sehr dafür gefeiert. Nach ihr trat noch eine andere Indianerin auf, die eher ein heiseres Geschrei mit unterschiedlichen Tönen abgab, irgendwie war es aber dennoch interessant. Ihre Begleitung, die bei der Ankunft sehr abgefeiert worden war, hatte die ganze Zeit nur auf ihr Tamborin gehauen, so dass wir uns fragten warum sie so beliebt war, Das klärte sich dann aber noch auf, als sie nach der Indianerin ihr eigenes Stück präsentierte. Nach etwas über einer Stunde Konzert wurden alle Musikerinnen und dann auch alle Sängerinnen, die alle nochmal auf die Bühne kamen, vorgestellt und beklatscht. Ganz viele im Publikum holten auch ihre grünen Armbänder heraus während sie klatschten. Die Bewegung, die in Argentinien für die Legalisierung der Abtreibung kämpft und darüber hinaus für die Rechte von Frauen und gegen Femizide und viele andere Formen der Benachteiligung und Diskriminierung, hat sich die Farbe Grün längst zum Markenzeichen gemacht. Zu dem Zeitpunkt war uns auch spätestens aufgefallen, dass alle Protagonisten auf der Bühne bisher weiblich waren. Es war also nicht nur ein Konzert sondern auch ein Fest für den Feminismus und die Stärkung der Situation von Frauen in der christlichen Republik Argentinien. Das Konzert an sich hat mir auch sehr gut gefallen, Franzi war sogar begeistert von der Musik und von den tollen Künstlern. Ganz anders als noch am Vormittag.
Nachdem wir mit den Massen aus dem Blauwal ausgeschieden waren, gingen wir durch die leeren Straßen in Richtung Heimat. Wobei der mittlerweile übliche Abstecher zu Cadore noch eingelegt wurde, wo wir einen weiteren, leckeren, halben KIlo beste Eiscreme zu uns Namen, um die ganze Kultur dieses Mittwochs zu veradauen.
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