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Planquadratisches Silber

Buenos Aires

Geschrieben von Timo

Ein Ziel, das ich von Buenos Aires aus auf jeden Fall noch ansteuern wollte, nicht nur wegen seines UNESCO Weltkulturerbes, ist die Stadt La Plata. Sie ist die Hauptstadt der Provinz Buenos Aires, die einen großen Küstenbereich unterhalb des Río de la Plata beschreibt, allerdings die Capital Federal Buenos Aires, also den Innenstadtbereich der Metropole, ausschließt. Dennoch ist die Provinz die bevölkerrungsreichste in Argentinien mit La Plata als größter Stadt. Die meisten Einwohner leben im Großraum Buenos Aires. 

Zu erreichen ist die knapp eine Millionen Einwohner zählende Stadt mit einem Zug ab Constitución in Buenos Aires, mit dem wir zuvor auch schon nach Banfield gefahren waren. Die Zugfahrt dauert etwas über eine Stunde in das ca. 60 km entfernte La Plata, was wörtlich "Das Silber" oder umgangssprachlich "Das Geld" bedeutet. Im Gegensatz zu den Deutschen, die Mäuse oder Knete mit unserem monetären Zahlungsmittel assozieren, reden Argentinier nämlich von Silber. Macht irgendwie auch mehr Sinn. 

Der riesige Bahnhof Constitución beeindruckte mich erneut sehr. Nach der Busfahrt wuschen wir artig und Abstand haltend im Bahnhof die Hände und nach dem Ticketkauf am Schalter gleich nochmal. Die Preise für die Zugfahrt waren sehr billig. Auf der Fahrt wurden wieder Gegenstände im Zug verkauft durch schreiende Händler, so dass wir den Reiseführer, den wir extra mitgenommen hatten, uns kaum gegenseitig vorlesen konnten. Ein offensichtlich Obdachloser legte einen Zettel in der Größe eines Glückskeksspruchblattes auf mein Knie und tat dies auch bei den anderen Fahrgästen. Eine Form des Bettelns, die hier akzeptiert wird, ich aber sehr aufdringlich finde. Ich bewegte mein Bein und der Zettel verschwand zwischen Franzis und meinem Sitz kurz bevor ihn der Mann zurückforderte. Als ich ihn vom Boden aufhob, guckte er mich böse an. Seitdem finde ich diese Art der Werbung noch unerträglicher. Vor den Fenstern zog die Metropolregion Buenos Aires vorbei, die erst auf etwa der halben Strecke von Hochhäusern auf kleinere Häuser wechselte. Die knapp 60 km nach La Plata sind jedoch an keiner Stelle unbebaut, La Plata gehört eindeutig in den Speckgürtel der Hauptstadt Argentiniens. 

Angekommen in der sechstgrößten Stadt des Landes war ich sehr gespannt wie die Straßen denn aussehen würden. La Plata wurde nämlich Ende des 19. Jahrhunderts gebaut und zwar komplett symmetrisch. Es gibt einige große und viele kleine Straßen, die in einem Quadrat horizontal und vertikal verlaufen. Dazu gibt es einige Diagonalen, die quer durch das Quadrat laufen und mit den großen, geraden Straßen die Plätze der Stadt bilden. Schon die erste Kreuzung stellte eine Herausforderung dar, denn es trafen nicht zwei sondern mit der Diagonalen drei Straßen aufeinander. Die Überquerung der Kreuzung dauerte dadurch sehr lange, da man mehr als zwei Ampeln überqueren musste und selbst beim Überqueren war einem nicht klar von wo denn jetzt Autos kommen könnten. Die Straßenbezeichnungen haben über die Nummerierung hinaus auch Namen, jedoch stehen auf den Schildern sehr präsent die Zahlen statt der Namen. So sauber die Stadt auch angelegt ist, desto normal verdreckt und leicht heruntergekommen ist sie auch. In meiner Vorstellung war alles sehr klinisch, es ist jedoch einfach eine normale Stadt, die sehr klinisch sauber angelegt wurde.

Unser erster Weg führte uns die Avenida 1 entlang zur Plaza Rivadavia, an der wir das Curutchet Haus suchten. Dieses Wohnhaus, das vom Schweizer Architekten Le Corbusier entworfen und gebaut wurde, ist nämlich neben einigen anderen Werken des Nationalsozialismussympathisanten UNESCO Weltkulturerbe. Wir liefen an allen Ecken des Platzes entlang, der an diesem Sonntag wie leergefegt war (die restliche Stadt im übrigen auch) und liefen fast an einem weißen Haus vorbei, als uns ein Mann fragte, was wir denn suchen. Überrascht darüber, das das Haus überhaupt aufhaben könnte wegen der bereits eingetretenden Beschränkungen durch das Coronavirus und dass wir das Welterbe übersehen haben könnten, blieben wir stehen. In der Tat war dieses auf den zweiten Blick interessant anmutende Haus eben jenes, das wir suchten. Wir gingen zu dem Mann ins Büro und kauften die günstigen Eintrittskarten. Etwas unsicher liefen wir durch den Innenhof des sehr offen wirkenden Gebäudes und bestaunten einen großen Baum, der in der Mitte des Hauskonstruktes hochragte. Wir gingen eine Betonrampe in den ersten Stock hoch, in der eine steril wirkende, alte Arztpraxis war. Wir hatten vorher erfahren, dass Señor Curutchet ein Zahnarzt war, der in dem Haus, das Le Corbusier für ihn bauen ließ, lebte und praktizierte. Im Nachbarzimmer der Praxis lief ein Film mit einigen schwarz-weiß Impressionen über Le Corbusier. An der Wand hingen Bilder seiner anderen Werke, derer viele in seinem Heimatland stehen.  Etwas unsicher was wir angucken durften und was nicht, liefen wir auch ins nicht beleuchtete Badezimmer und betätigten den Lichtschalter. Die Kachelwände erinnerten an vergangene Zeiten. Die sanitären Anlagen waren vorhanden aber abgesperrt und offensichtlich nicht in Benutzung. Inzwischen war auch ein anderes Päarchen anwesend und so flüchteten wir ins oberste Stockwerk. Hier konnte man auch die Baumkrone entdecken. "Wie groß war der Baum wohl, als das Haus in den 50ern gebaut wurde und wie lange darf der Baum noch wachsen?", fragten wir uns. Das obere Geschoss des Hauses ist der Wohnbereich. Alle Möbel stehen weiterhin hier. Man kann Regalbretter rein und raus schieben und Schubladen aufmachen. Sehr cool ist eine hölzerne Lamellenstruktur, die man auf und zu ziehen kann, je nach gewünschtem Sonneneinfall. Noch wesentlich attraktiver ist aber eine riesige Sonnenterrasse mit Blick auf den Park. Mit steigender Besucherzahl gingen wir durch ein schickes, gläserndes Treppenhaus wieder zwei Stockwerke herab und besuchten noch den Waschkellerbereich des Hauses. Während Franzi die einzig noch aktive Toilette des Hauses für Besucher benutzte, schlich ich mich durch die Hintertür des Kellers zurück in den Eingangsbereich des Hauses und dann durch eine Glastür in den hübsch bepflanzten Innenhof. Als Franzi zurückkam trennte sie und mich eine Glaswand, was sie überraschte. Mit etwas suchen fand sie jedoch auch die Glastür und kam so zu mir in den Innenhof. Allgemein eignet sich das Haus hervorragend zum Verstecken und Ticken spielen.  Insgesamt ist es ein riesiges, spannendes Haus, das sehr offen und lichtdurchflutet gebaut ist und schick aussieht. Der Baum in der Mitte ist sicherlich eine Besonderheit. Dennoch muss ich als Laie was die Vergabekriterien der UNESCO für Welterbe angeht sagen, dass ich finde, dass das Gebäude nichts ist was so weltbewegend ist, dass es in der Welterbe Liste auftauchen müsste bzw. dass dann auch viele andere Gebäude in der Liste auftauchen müssten. Alleine in Buenos Aires, das voller Prachtbauten ist wie ihr den anderen Beiträgen entnehmen konntet, hat kein einziges Welterbe vorzuweisen.

Nach dem Besuch dieses geöffneten Kulturhighlights holten uns beim nächsten Wegpunkt doch wieder die Corona Auswirkungen ein. Nach einem schönen Spaziergang durch den großen Park, der auch einen permanent geschlossenen Zoo beherbergt, erreichten wir das Museo de La Plata, das vom aussehen her auch im alten Rom stehen könnte. Wir gingen an den wachenden Säbelzahntigersandsteinfiguren und den Säulen vorbei die Treppen hinauf und erreichten das Eingangsportal, an dem der erwartete "Cerrado" Zettel hing, der uns über die Schließung des Naturkundemuseums informierte. Wir betrieben daraufhin selber etwas Naturkunde, in dem wir einer unendlich lang scheinenden Ameisen Autobahn voller wandelnder Blätter entgegen der Transportrichtung folgten und erreichten einen Kiosk, an dem wir uns ein Sandwich mit etwas Fleisch holten. Nach der Stärkung gingen wir weiter durch den Park und kamen zu einem schicken See. Man konnte durch einen Kalkfels gehen und das daran in den See heruntertropfende Wasser beobachten. Wir machten ein paar hübsche Fotos und beobachteten einen Familienvater, der seine Kinder davon abhielt in unser Bild zu laufen mit einer HSV Hose. Damit stand es 1:1 auf der Südamerika Reise zwischen St. Pauli und dem HSV, da uns schon ein Pauli Jersey in San Telmo entgegen gelaufen kam. Am Ende des Parks kamen wir noch an einem der zwei Stadien im Park vorbei, dem von Estudiantes de la Plata, einer der wenigen Vereine aus Südamerika, der mir schon länger ein Begriff ist u.a. wegen des FIFA-Klub WM Finals 2009 gegen Barça.

Nach dem Parkspaziergang liefen wir wieder zurück zur Casa Curutchet und dann die Avenida 53 herunter Richtung Stadtzentrum. Der Weg führte auf dem Grünstreifen in der Mitte zwischen den beiden Fahrtrichtungen der Avenida entlang unter Bäumen über einige größere Straßen hinweg und an einigen kulturell und administrativ bedeutenden Gebäuden vorbei hin zur Plaza Moreno, dem Zentrum des Planquadrats La Plata. Auf der einen Seite dieses riesigen Platzes steht das Rathaus der Stadt, ein schickes, weißes Gebäude mit Uhrenturm, und auf der anderen Seite die sehr beeindruckende, riesige, neugotische Kathedrale von La Plata, die erst 1999 vollends finalisiert wurde. Sehr beeindruckend fanden wir den politischen Protest auf der belebten und begrünten Plaza, der auf dem Boden aufgemalt war. Eine riesige, gemalte Schere schnitt auf einer ebenfalls gemalten, angedeuteten Sollschnittlinie entlang den Platz in zwei Hälften- den Teil mit dem Rathaus und den mit der Kirche. Daneben stand die eindeutige und uns schon häufig begegnete Forderung: Seperation von Kirche und Staat. Direkt daneben noch das heißeste Thema dieser Forderung: Legalisierung der Abtreibung. Wir gingen an vielen spielenden Kindern und Familien vorbei zur gigantischen Kathedrale, die eindeutig an Bauten wie den Kölner Dom erinnert und traten ein. Riesige Säulen stemmen die Decken des Bauwerks und langgezogene, verzierte, bunte Glasfenster lassen das Sonnenlicht einfallen. Der Kreuzgang Jesus ist hinter dem Altar in Form von richtig hübschen Holzschnitzereien dargestellt. Interessant ist allerdings, dass erst die Hälfte der durchnummerierten Objekte an der Wand hängen, die zweite Hälfte fehlt. Demnach steht Jesus nicht wieder auf, aber ich bin mir sicher, dass der Teil der Geschichte noch nachgeliefert wird. Nach einem Rundgang um die Kirche, bei der wir leider keinen Eingang zur, wie wir später herausfanden um diese späte Uhrzeit, geschlossenen Turmbesichtigung fanden, gingen wir langsam zurück zum Bahnhof. Auf dem Weg fiel uns Hans Bier oder Haus Bier, je nachdem wie man die Schreibschrift des Logos interpretiert, sofort ins Auge. Nicht nur wegen des Namens sondern auch wegen des Angebots ein Craft Beer für 50 Pesos, also knapp mehr als 50 Cent in der Happy Hour zu konsumieren. Da kann man definitiv nicht nein sagen. Wir testeten eine Runde, bzw. der schnelle Konsument auch zwei Runden Craft Beer und genossen den Sonntagabend. Die Bedienung wusste nichts über einen Zusammenhang des Hauses mit Deutschland- vermutlich verkauft sich Bier unter einem Deutschen Namen einfach besser. Etwas angeheitert gingen wir zum Bahnhof und fuhren mit der Bahn zurück nach Hause. Nach den zwei Bier wuchs mein Hunger auf was "Richtiges" und ich hörte nicht auf von Asado zu reden, bis wir schließlich ein Restaurant direkt um die Ecke des Hostels mit Asado auf der Karte fanden. Es war einer dieser Läden, der tut als wäre er schick und vornehm, wie man der Kreidetafel und dem vornehmen Verhaltens des Kellners entnehmen konnte, es aber eigentlich nicht ist, wie man den Preisen, den eingerissenen Stühlen und dem Live Fernsehen ansehen kann. Ich machte mich über mein Rindfleisch her, Franzi über die Pasta und wir verfolgten im Fernsehen die aktuellen Entwicklungen zur Corona Pandemie, die mittlerweile in Dauerschleife liefen. War das vielleicht schon unser letzter Ausflug? 

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