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Tag 2 – Unterwegs zu den Falklandinseln

Atlantik

geschrieben von Franzi

Grauenhaft. Einfach nur zum Kotzen. Das beschreibt den zweiten Tag unserer Expedition aus meiner Sicht definitiv am besten. Ich erinnere mich nur an wenig. Aufwachen. Kotzen. Tablette. Frühstück. Kotzen. Kotzen. Injektion. Schlafen. Obligatorische Sicherheitsunterweisung. Dabei weiterschlafen. Schlafen. Essen. Exkursionsschuhe anprobieren. Schlafen. Essen. Schlafen.

 

Tatsächlich ging es mir morgens hervorragend. Timo dagegen war etwas flau im Magen. Die Fahrt Richtung Falklandinseln war alles andere als ruhig und daran mussten wir Landratten uns wohl erst einmal gewöhnen. Schon während des Zähneputzens ging es mir rapide schlechter. Das Resultat habe ich ja schon vorweggenommen und ich erspare euch weitere Einzelheiten hierzu. Beim Frühstück sah ich bereits aus wie eine Leiche und hatte das Gefühl, jeden Moment zusammenklappen zu können. Sofort kamen Kellner auf mich zu und boten an, mir Frühstück aufs Zimmer zu bringen. Ich versuchte tapfer zu sein und setze mich an einen Tisch im Restaurant. Weitere fünf Minuten später gab ich auf. Im Zimmer angekommen, begann mein Magen eine Diskussion, ob ich noch alle Tassen im Schrank hätte, ihn mit Frühstück zu belästigen. Ich verlor.

 

Dann kam die Schiffsärztin. Sie fragte, ob ich überhaupt schon etwas bei mir behalten hätte. Mein Magen gab ihr die passende Antwort. Ich hatte inzwischen schon gar nichts mehr zu melden und hing völlig erschöpft auf dem Sofa unserer Kabine. Die Ärztin empfahl mir eine Injektion, da die Tabletten wohl kaum eine Chance auf längeren Aufenthalt im Magen hatten. Mir war inzwischen alles egal. Ich wollte nur noch von Bord. Mit ‘nem Heli abholen, von Bord springen, völlig egal, Hauptsache weg.

 

Stattdessen gabs erstmal die Injektion. Tapfer wie ich bin, habe ich meine Spritzen-Phobie schon seit Langem ganz gut im Griff. Teilnahmslos hielt ich bereitwillig meinen Arm hin. Auf das Folgende war aber ich nicht vorbereitet. Eine derart langwierige und schmerzhafte Spritze habe ich in meinem Leben noch nicht durchstehen müssen. Die Ärztin entschuldigte sich für das zusätzliche Leid, meinte aber zurecht, dass das Wissen um den bevorstehenden Schmerz, ihn nicht gelindert, sondern nur meine Angst davor gesteigert hätte. Sie sprach noch kurz mit Timo, während ich mich, auf die Wirkung wartend, unter der Bettdecke verkroch.

 

Eine durchdringende Stimme weckte mich. Wir wurden an die obligatorische Sicherheitsunterweisung erinnert. Ich quälte mich aus dem Bett und rein ins Auditorium. Ich erinnere mich an die Empfehlung, sich nach dem Zwiebelprinzip zu kleiden, da das Wetter schnell umschwingen kann. Dann gingen die Augen zu. Sie öffneten sich kurz, als eine andere Referentin mehrfach eindringlich „1, 2, 3“ und „sit and slide“ wiederholte. Ich konnte gerade noch aufnehmen, dass wir mit drei Schritten in das Zodiak steigen sollen (Rand des Zodiaks, Treppchen im Zodiak und Boden des Zodiaks), uns dann sofort hinsetzen und auf unseren Platz rutschen, bevor die Augen wieder zugingen. Zodiaks sind die kleinen Schlauchbote, in denen der Weg vom ankernden Expeditionsschiff zur Küste zurückgelegt wird. Danach folgte noch irgendwas mit Bio-Sicherheit und Reinigung unserer äußersten Kleidungsschicht. Ich fühlte mich genauso gut vorbereitet wie seetauglich. Immerhin durfte ich danach in meinem Bett weiterschlafen.

 

Zum Mittagessen weckte mich Timo. Ich hatte Hunger. Ein gutes Zeichen. Mein Magen war wieder am Start. Auf dem Weg zum Essen wollte Timo noch kurz etwas erledigen. Ich setze mich an ein Fenster, um zu warten. Zwei dunkle Rückenflossen durchbrachen kurz die wellige Wasseroberfläche! Direkt vor meiner Nase! Delfine? Wale? Ich weiß es nicht, aber ich freute mich tierisch!              

Nach dem Essen musste ich aber direkt wieder ins Bett. Unsere Mitreisenden beäugten mich mittlerweile äußerst mitleidig. Mitten in meinen Schlaf dröhnte die nächste Durchsage, die uns an den Bio-Sicherheits-Check erinnerte. Da das ökologische Gleichgewicht unserer Reiseziele so wenig wie irgend möglich belastet werden soll, gelten strenge Regeln. Man darf nichts in der Natur anfassen und den Boden nur mit den Schuhen betreten, ergo kein Hinsetzen, Hinknien oder gar Hinlegen, was für viele leidenschaftliche Hobbyfotografen gar nicht mal so abwegig wäre.

Jedes Sandkörnchen wurde von unseren Klamotten gesaugt und aus jeder kleinsten Rille herausgekratzt, um zu vermeiden, dass irgendwelche Samen fremder Flora den Weg in die abgeschiedenen Archipele finden. Tatsächlich gibt es schon diverse eingeschleppte Pflanzen, deren Auswirkungen auf das Ökosystem unabsehbar sind. Auch eingeschleppte Tiere können zum Problem werden, weswegen in manchen Orten vor Erteilung der Anlandeerlaubnis ausgebildete Hunde nach Ratten und Ähnlichem suchen. Auf Südgeorgien waren beispielsweise Rentiere angesiedelt worden, die dann massenweise Gräser gefressen haben, die manche Vögel dort zum Nisten nutzen. Da die Vogelpopulation durch das Fehlen der Nistplätze gefährdet war, wurden die ca. 6.600 Rentiere vor einigen Jahren wieder "entfernt".

Obwohl das alles eigentlich sehr interessant ist, versuchte ich während des Checks einfach nur nicht mit dem Kopf auf den Tisch zu knallen.

Danach gings runter in den Mud Room. Dort hatte jeder einen kleinen Spint für die äußersten Kleidungsschichten, die vor und nach jeder Exkursion gereinigt werden mussten. Nun ging es aber nicht raus zur Exkursion, sondern nur zum Schuhe anprobieren. Jeder bekam eine Art Gummistiefel zur Verfügung, die mit einer guten, wanderstiefelartigen Sohle versehen waren. So sollte man an Land guten Halt haben und gleichzeitig beim Ausstieg aus den Zodiaks trocken bleiben. Da es an den meisten Inseln mitten im Nichts keinen Pier gibt, muss man die letzten paar Meter durchs Wasser waten, um an Land zu kommen. Eine gute Regenhose ist deswegen ebenfalls ein absolutes Muss.

Tatsächlich war die Ansage: "Wenn ihr nicht 100% wasserfest gekleidet seid, dürft ihr nicht raus!"
So waren wir sehr froh, entsprechende Kleidung dabei zu haben, denn so richtig angekündigt war das im Vorwege nicht.

 

Man musste seine Schuhgröße schon bei der Buchung angeben und sie lieber zu groß, als zu klein auswählen. Ich hatte eine halbe (amerikanische?) Größe aufgerundet, da es keine halben Nummern zur Auswahl gab. Am Ende lag ich zwei Nummern darunter, trotz dicker Socken. Das Anprobieren von insgesamt vier oder fünf verschiedenen Paar Schuhen kostete mich bestimmt über eine halbe Stunde.

Nach meinem drölften Mittagsschlaf gings Richtung Abendessen. Zwischendurch gab es noch Recaps und Briefings, Infos zu diversen Vögeln, die auf den Falklandinseln anzutreffen sind und einiges mehr. Ich hab alles verschlafen. Sehr ärgerlich, aber definitiv nicht zu ändern. Noch nie hat mich eine Spritze derart aus dem Leben geschossen.

Vor dem Abendessen stellten sich noch einige Crew-Mitglieder vor. Darunter auch der Kapitän, den Timo schon nach wenigen Worten anhand des Akzents treffsicher als den bisher einzigen von uns ausfindig gemachten anderen Deutschen an Bord identifizierte. Hoffentlich kein schlechtes Omen, der Kapitän der Monte Cervantes war ja auch Deutscher... Aber Michael wird uns bestimmt sicher wieder zurückbringen!

 

Schon krass, wie viele Menschen an so einer Kreuzfahrt mitarbeiten. Vorgestellt haben sich nur die Leiter der jeweiligen Ressorts: Hotelmanager, Gästeservice, Restaurantmanager, Küchenchef, Leitender Ingenieur, Sicherheitsleiter, Expeditionsleiter… Dahinter steckt rund ein Mitarbeiter pro Passagier. Wir sind beeindruckt und fragen uns generell, wie das hier alles funktioniert, z.B. mit dem (Ab-) Wasser oder den Lebensmitteln. Wie wird insbesondere Obst, Gemüse und Salat so lange so frisch gehalten? In Südgeorgien wird wohl kaum jemand Nachschub aus dem Großhandel holen…

Beim Abendessen sind ein paar meiner Lebensgeister wieder erwacht und wir unterhielten uns mit anderen Passagieren. Einer erzählt uns, dass er mich bereits am Morgen gesehen habe und tatsächlich dachte, ich würde unter diversen Krankheiten oder Behinderungen leiden, da Timo mich so sehr stützen musste. Umso erfreuter war er, dass es sich „nur“ um die Seekrankheit handelte und ich schon wieder munterer wirkte.

Ein Pärchen erzählte, dass sie die Tour bereits fürs letzte Jahr gebucht hatten, um die Sonnenfinsternis in der Antarktis zu sehen. Erst als sie schon in Argentinien waren, sagte der Veranstalter (vermutlich wegen zu vieler Corona-Fälle innerhalb der Crew) die Tour spontan ab. Bitter. Dafür hätten sie für diese Tour einen Rabatt erhalten und sich vom eingesparten Geld unter anderem das Kajaken gegönnt, dass man dazu buchen kann. Die Sonnenfinsternis schauen sie sich stattdessen nächstes Jahr in Australien an. Um die Kajak-Touren beneide ich sie sehr. Ich stelle es mir magisch vor, in dem kleinen Boot durch die absolute Stille der Antarktis zu gleiten, unterbrochen nur vom Knacken des Eises. Leider gibt es nur 16 Kajak-Plätze, die sehr teuer und sehr weit im Voraus ausgebucht sind.

 

Nach dem Essen gibt der Expeditionsleiter Woody noch ein paar Anekdoten zum Besten, gespickt mit Infos, was auf einer Schiffsreise Glück und was Unglück bringt. Allein Timo und ich haben schon so viel falsch gemacht, dass wir eigentlich längst auf dem Meeresgrund liegen müssten. Beim Ablegen haben wir aufgeregt zugeschaut, wie Ushuaia hinter uns immer kleiner wurde. Man darf aber niemals zurückblicken. Zudem war ich so töricht, überhaupt an Bord zu gehen. Frauen an Bord bringen ebenfalls Unglück. Die Worte, die man nicht sagen darf, haben wir nicht alle verstanden, da Woody sie nur umschrieben und lieber nicht laut ausgesprochen hat. Der Titel des Films mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio gehörte auf jeden Fall dazu. Einige Zitate und Anspielungen gabs dazu definitiv schon, ob wir den Schiffsnamen ausgesprochen haben, weiß ich nicht mehr genau. Zudem darf man auch meine Lieblingshaustiere nicht laut aussprechen oder spezifizieren, welches Tier Ratatouille genau ist. Woody erzählte, dass es mal ein Schiff gab, das mit diversen Pferde-Bildern und -Statuen dekoriert war. Die Crew beschloss einstimmig, dass sie so nicht in See stechen würden, da allgemein Bildnisse von Landtieren und insbesondere von Pferden Unglück mit sich bringen würden. Ein ausgewählter Sprecher der Crew teilte dies dem Kapitän mit und tatsächlich waren pünktlich bis das Schiff auslief alle Pferdedarstellungen verschwunden. Seefahrer scheinen ein sehr abergläubisches Volk zu sein. Wir wundern uns seitdem immer über das große Poster eines Island-Ponys neben dem Restaurant-Eingang…

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Kommentare: 1
  • #1

    Lieblingskollege (Montag, 16 Januar 2023 21:31)

    Soooo spannend- ich freu mich schon auf die nächsten Posts <3