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Tag 3 – Carcass Island & Saunders Island

Falklandinseln

geschrieben von Franzi

Weihnachten! Wie merkwürdig, Weihnachten so weit von zu Hause zu verbringen. Und nicht mal eine WhatsApp-Nachricht schreiben zu können. Viele aus meiner Familie, allen voran mein Vater, würden jetzt eh unterbrechen und darauf hinweisen, dass Weihnachten erst morgen sei. Ja, ja, stimmt ja auch. Feiern tun wir Deutschen ja aber nun mal trotzdem am 24. Mehr oder weniger scheinen wir damit aber allein dazustehen und schnell stelle ich es wieder ein, jedem „Merry Christmas“ zu wünschen, um dies nicht immer wieder erklären zu müssen. Feiern wir halt ein bisschen, nur für uns. Dass mir die typischen Weihnachtslieder und ein Gottesdienst, am besten mit Krippenspiel, fehlen, merke ich aber schon. Statt der Geschenke unterm Baum, entdecken wir heute etwas ganz anderes.

„Land in Sicht!“, rufe ich gleich nach dem Aufstehen, als ich die Vorhänge zu unserer Veranda öffne. Da liegen sie vor uns: Die Falklandinseln. Nach dem Frühstück bereiten wir uns in der Kabine auf unsere erste Landung vor. Wir sind aufgeregt. Die Passagiere sind in vier Gruppen unterteilt und alle werden nacheinander aufgerufen. Wir sind die Pinke Gruppe und heute als drittes an der Reihe. Zum Glück, so haben wir noch etwas Zeit, uns besser vorzubereiten. Wir ziehen mehr Schichten an und dann wieder aus. Packen Dinge in die Taschen, die wir dann doch an Bord lassen wollen.          

 

Dann kam die Durchsage. Der Wind sei zu stark und wir können nicht an Land gehen. Wir sind enttäuscht. Als wir uns das erste Mal mit dem Gedanken einer Antarktis Expedition beschäftigten, kam es uns überhaupt nicht in den Sinn, dass es an manchen Tagen vielleicht nicht möglich wäre anzulanden. Je näher die Abfahrt rückte, desto mehr wurde uns bewusst, was es bedeutet, in derart entlegene Teile der Welt zu reisen. Nämlich auch, dass nichts garantiert ist und immer alles von den (Wetter-) Gegebenheiten abhängt. Sicherheit ist hier außerordentlich wichtig. Schon an Bord soll man nur rutschfeste Schuhe tragen, Flip-Flops sind verboten. Man muss den Handlauf verwenden und soll sich auch sonst bestenfalls immer irgendwo festhalten. Die nächste medizinische Versorgung kann bis zu 72 Stunden entfernt sein, darauf möchte man lieber nicht angewiesen sein. Es gibt zwar eine Krankenstation, Ärzte und einiges für die Erstversorgung, aber all das hilft natürlich nur begrenzt. Entsprechend wird auch bei den Landungen kein Risiko eingegangen und das ist gut so.

 

Tatsächlich sind vor wenigen Wochen drei Passagiere von Antarktisexpeditionen verstorben. Wenn ich die Nachrichten richtig verfolgt habe, ist einer von einer Monsterwelle von Bord des Schiffes gerissen worden. Zwei andere starben, als ihr Zodiak kenterte. Einige schafften es an Land, für zwei wurde das eisige Wasser zum Verhängnis. Dies waren wohl die ersten Unfälle seit langem, haben aber nochmal alle Mitarbeiter daran erinnert, wie wichtig es ist, äußerste Vorsicht walten zu lassen.

 

In Gedanken daran, frage ich bei der Rezeption nach, ob mir jemand nochmal ein kurzes Briefing geben könne bzgl. der Sicherheitsunterweisung, die ich ja verschlafen habe. Die Bordärztin wies mich erst im Nachhinein darauf hin, dass ich auch an verpflichtenden Trainings nicht teilnehmen muss, wenn ich krank bin und dass mich jemand später briefen würde. Nun war ich aber ja physisch anwesend gewesen und auf der Liste abgehakt, weswegen natürlich niemand wusste, wie unvorbereitet ich war. Die nette Rezeptionistin versprach, dass sie jemanden schicken würde. Gemeldet hat sich aber niemand. Timo versuchte aus seinem Gedächtnis, das Wichtigste zu wiederholen. Mit mäßigem Erfolg. Man ist einfach erschlagen von der ganzen Reise. „1, 2, 3. Sit and slide.“, wiederholte ich im Geiste immer. Wird schon schiefgehen.

Das Schiff hatte mittlerweile einen alternativen, ruhigeren Ankerplatz auf der anderen Seite der Insel gefunden, auf der wir anlanden wollten.

Von der Kabine aus beobachteten wir, wie die Zodiaks zu Wasser gelassen wurden und die ersten Boote zur Küste fuhren.

 

Nach und nach wurden die Gruppen ausgerufen und wir fühlten uns endlich bereit für unseren ersten Landgang. Es sollten uns sehr windige 8°C erwarten und ich hatte mich für meine Merino-Leggins, Regenhose, Merino-Langarmshirt, Parka, Handschuhe, Mütze und zwei Buffs entschieden.

„Pink group come down to the mud room, please!“ Das waren wir! Jetzt wurde es ernst! Sofort öffneten wir die Tür und hasteten zwei Stockwerke nach unten. Schuhe rein in den Spint, wasserfeste Stiefel an, Regenhose drüber, Schwimmweste über den Parka und ab in die Warteschlange. Für die Zodiak-Überfahrten muss man von Kopf bis Fuß hundert Prozent wasserfest gekleidet sein, da es während der Fahrten stark spritzen kann und man am Ende im Wasser aussteigt und die letzten Meter an Land waten muss. Sehr merkwürdig, dass Freestyle Adventure uns Snowboardhosen ausgeliehen hat, die uns wohl absolut nichts nützen werden, da sie nicht ausreichend wasserabweisend sind. Da fahren wir mit unseren normalen Regenhosen wirklich wesentlich besser.

Auf dem Weg zum Zodiak werden die Schwimmwesten dreimal geprüft. Kurz bevor man das Schiff verlässt werden die Schuhe und die Hose bis Wadenhöhe gründlich maschinell gereinigt und desinfiziert. Dann geht’s raus aus dem Schiff, die eiserne Treppe hinunter mit dem Hinweis, unbedingt langsam und vorsichtig Schritt für Schritt zu gehen und den Handlauf zu verwenden. Am Ende der Treppe warten links und rechts je ein Crew-Mitglied, die einen sofort fest im Griff haben, entweder am Handgelenk oder an der Schwimmweste, bevor man dem Zodiak-Fahrer den Arm entgegenstreckt (auch hier hält man sich gegenseitig an den Handgelenken, falls einer abrutscht) und 1, 2, 3, schon sitzt man im Schlauchboot und rutscht auf den zugewiesenen Platz. Zehn Passagiere passen in ein Zodiak und los geht’s. Die Küste rückt näher. Der Wind prallt an uns ab. Unsere Kleiderwahl war ziemlich perfekt und ich war froh, meine ganzen zusätzlichen Schichten an Bord gelassen zu haben und mich nicht totschwitzen zu müssen. Vor uns sprangen Pinguine wie Delfine durchs Wasser! Ich wusste gar nicht, dass sie das machen. Einfach nur großartig anzusehen!

Im flachen Wasser kommen wir nach wenigen Minuten zum Stehen. Links und Rechts wird allen aus dem Boot geholfen. Die Beine werden Richtung Wasser auf die andere Seite des Zodiaks geschwungen, bevor man ins Wasser hüpft und an Land stapft. Man soll beim Aussteigen immer Richtung Wasser schauen, damit man etwaige heranrollende Wellen wahrnehmen kann. Auch ohne Sicherheitsunterweisung bin ich also sehr sicher an Land gekommen. Jemand nahm uns die Schwimmwesten ab und sagte: „Welcome to paradise!“

Das traf die Szenerie wirklich sehr gut. Blütenweißer Strand, azurblaues Wasser. Wir hätten in der Karibik sein können! Wäre da nicht der eisige Wind gewesen, man hätte Lust gehabt, sich in die Fluten zu stürzen.

In mir stritten sich zwei Gedanken. Einerseits glaubt man, die entlegensten Ecken der Welt zu betreten, gleichzeitig fühlt es sich dennoch ein wenig nach Massentourismus an. Schaut man in eine Richtung, sieht man pure Natur. In der anderen all die Menschen in den gelben Parkas. Merkwürdiger Kontrast.

Begrüßt wurden wir von alten Bekannten, den Magellan-Pinguinen, die wegen des Wetters weniger Bedenken hatten und fröhlich im Wasser plantschten.

Über ein paar Dünen, die uns etwas Dänemark-Feeling gaben, ging es ins Innere von Carcass Island. Die Insel ist 1,894 ha groß und liegt etwas nordwestlich der westlichen Falkland-Insel. Der Name kommt wohl von einem Schiff, das dort im späten 18. Jahrhundert anlandete.

Hinter den Dünen gab es sehr viele verschiedene große und kleine Vögel zu entdecken. Sicherlich waren darunter viele besondere Arten, die wir aber leider nicht gut unterscheiden können. Viele Tiere brüteten oder hatten bereits kleinen Nachwuchs. Auch viele Eselspinguine waren zu sehen, die waren definitiv neu für uns und ebenso niedlich wie die Magellan-Pinguine.

Auf einer vom Expeditionsteam abgesteckten Route machten wir eine kleine Rundtour über die Insel. Das Gras wuchs so üppig und saftig, dass man mit jedem Schritt etwas darin versank.

Zurück auf dem Schiff erfuhren wir, dass der Sandstein der Insel für den feinen und hellen Sand verantwortlich war. Tatsächlich waren die Falklandinseln früher im Süden Südafrikas angedockt. Dort gibt es dieselben Steine, aus denen man als Geologe wohl viel ablesen kann. Was ich aus dem Vortrag mitgenommen habe ist, dass die Falklandinseln, sich seit der Abtrennung vom afrikanischen Kontinent um 180° gedreht haben müssen, da die Strukturen hier genau verkehrtherum zu finden sind. Spannend! Man müsste mehr Zeit haben, sich mit solchen Dingen auseinanderzusetzen!

Nach dem Mittagessen ging es zur zweiten Expedition. Diesmal waren wir schon wesentlich routinierter und als letzte an der Reihe. Wir landeten auf Saunders Island. Abgesehen von den beiden großen Hauptinseln, ist dies die zweitgrößte des Archipels. Es leben dort sieben Menschen. Einer von ihnen empfing uns bereits am Strand. Wir unterhielten uns kurz und fanden heraus, dass er dort mit seiner Familie lebte. Seine Tochter hat einen Freund in Stanley, der Hauptstadt der Falklandinseln. Um ihn zu besuchen, muss sie mit dem Flugzeug dorthin fliegen. Sie hätten eine „grüne Landebahn“ auf der Insel.

Wir versuchen uns das Leben dort vorzustellen. Fernab der Zivilisation, nur mit der eigenen Familie auf der Insel. Timo meint sogar verstanden zu haben, dass ihm die Insel gehöre. Ich hatte etwas anderes verstanden, bin aber auch nicht sicher. Insgesamt wirkte der Herr etwas abweisend auf uns und so zogen wir weiter.

Vorbei an zwei großen Geländewagen, in dem noch weitere Menschen saßen. 

An einem Auto lehnte ein großes Pappschild, vielleicht war es auch Holz, mit der Aufschrift „Saunders Island Shop“. Woody hatte im Vorfeld darauf hingewiesen, dass die Einheimischen Kunsthandwerk verkauften und dass man bei Interesse Bargeld mitnehmen solle. Für den Fall der Fälle hatten wir etwas dabei. Allerdings war nichts ausgelegt oder deutete darauf hin, was angeboten wurde. Wir fanden es merkwürdig an das Auto zu klopfen und zu fragen, ob man vielleicht etwas kaufen könne, zumal Kunsthandwerk ja alles und nichts bedeuten kann.

So zogen wir vorbei und konzentrierten uns stattdessen auf die umwerfende Natur. Insgesamt gab es dort vier Pinguinarten zu entdecken. Die beinahe schon vertrauten Magellan-Pinguine und die Eselspinguine vom Vormittag kannten wir ja bereits. Völlig ausgeflippt bin ich beim Anblick des ersten Königspinguins unserer Reise! Ich kannte die majestätischen Tiere schon gut aus Hagenbeck, aber ich hatte sie natürlich noch nie in freier Wildbahn gesehen. In der Antarktis und in Südgeorgien sollen wir wohl noch unendlich viele von ihnen sehen. Ich freute mich tierisch!

Langsam begannen wir den steinigen Aufstieg. Auf halber Höhe wartete die nächste Pinguin-Gattung auf uns: Der Felsenpinguin.

Die englische Bezeichnung Rockhopper-Pinguin finde ich treffender. Man versteht schnell, woher der Name kommt, da die niedlichen Tiere die Felsen scheinbar mühe- und pausenlos hoch und runter hüpfen. Ein besonderes Detail ist dabei die goldgelbe Pigmentierung über dem Auge, sowie der blonde „Haarschopf“.

Die Route führte uns einen Hang hinauf, an dessen Klippen Albatrosse nisten, um genau zu sein, Schwarzbrauenalbatrosse. Ich glaube, gelesen zu haben, dass die Falklandinseln der einzige Ort sind, wo man Albatrosse beim Nisten beobachten kann. Tatsächlich soll es allein auf dieser Insel 11.000 Paare der Schwarzbrauenalbatrosse geben! Bei dieser schieren Masse an Vögeln, ist man sich der Einzigartigkeit der Szenerie irgendwie gar nicht mehr richtig bewusst.

Tatsächlich war die Beobachtung einzelner Tiere aber einmal mehr spektakulär. Auch hier sind natürlich die seltenen Blicke auf ein Ei oder ein Küken besonders spannend.

Während ich wieder einmal die Zeit vergaß, zupfte Timo irgendwann nervös an meinem Ärmel. Wenn wir auch den Strand besuchen wollten, mussten wir in der Tat los. So machten wir uns an den Abstieg, immer wieder staunend innehaltend.

Unten angekommen erwartete uns ein beeindruckender Blick, die Klippen hinauf zu den Albatrossen. Aber auch direkt vor uns wurden wir verzaubert durch das rege Treiben der ankommenden und fortschwimmenden Pinguine. Insbesondere die Felsenpinguine waren hier anzutreffen. Herrlich, wie sie hin und her, hoch und runter, geschäftig aneinander vorbei hüpften!

Zurück an Bord fühlten wir uns zwar rundum glücklich und zufrieden, aber leider so gar nicht weihnachtlich. Die kleinen Weihnachtsbäumchen auf den Tischen halfen ein wenig, ebenso wie der Bratapfel zum Nachtisch und der Grinch, der nach dem Essen im Auditorium gezeigt wurde. Die zweite Hälfte schauten wir gemütlich vom Bett aus über den Livestream in unserer Kabine, wo uns eine nette kleine Überraschung erwartete. Schokoladenweihnachtsmänner und Kekse! So hielten wir am Ende zumindest an einer Weihnachtstradition fest und schliefen mit kugelrund gefüllten Bäuchen glücklich ein.

 

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