Südlicher Ozean
geschrieben von Franzi
Inzwischen haben wir uns auf dem Schiff gut eingelebt. Der morgendliche Weckruf bestellte uns zum Frühstücksbuffet ein. Timos Bauchschmerzen hielten weiterhin an und so wurde es nur ein kurzer Besuch im Restaurant. Danach verfolgten wir aus der Kabine heraus den Vortrag der niederländischen Geologin und Glaziologin Ymke. Sie erzählte viele spannende Dinge, die man aus den Landschaften lernen kann. Unter anderem bedeutet ein Tal in „v“-Form, dass sich hier ein Fluss zwischen den Hügeln hindurchgegraben hat. Eine „u“-Form dagegen lässt auf Eis schließen. Allgemein hat Eis bzw. ein Gletscher wesentlich mehr Kraft als flüssiges Wasser. Eis reißt wohl so ziemlich alles mit sich, während Wasser wesentlich weniger „schafft“.
Später folgte noch die Präsentation der Meeresbiologin Annie, mit der sie uns die verschiedenen Meeressäugetiere näherbringen wollte, damit wir die Männchen und Weibchen, Fellroben, Seeelefanten und viele mehr auseinanderhalten können. Ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich folgen konnte. Mitgenommen habe ich, dass von einer der genannten Gattungen (ich glaube es waren die Fellrobben) die Männchen Ende Oktober / Anfang November an den Strand kommen und sich in heftigen Kämpfen ein Stück Land suchen, bestenfalls direkt am Wasser. Die Verlierer der Kämpfe ziehen sich etwas weiter zurück und bleiben in Lauer-Stellung. Die Weibchen erreichen die Küste etwa Ende November / Anfang Dezember. Sie wissen genau, wann sie gebären werden und tun dies ziemlich präzise zwei Tage, nachdem sie an Land angekommen sind. Die Männchen erwarten sie dort bereits und versuchen, möglichst viele von ihnen für ihren Harem zu gewinnen. Während die Weibchen gebären, kommen die Riesensturmvögel hinzu. Uns wurden Fotos gezeigt, auf denen zu sehen ist, wie sie scheinbar versuchen, die jungen Heuler zu fressen. Tatsächlich streiten sie sich aber „nur“ um alles, was mit dem Nachwuchs so aus dem Muttertier herauskommt. Lecker. Aber vielleicht auch schlau von der Natur. Eine gute Woche nach der Geburt kommen die Männchen zum Einsatz. Sie wollen sich direkt wieder fortpflanzen. Leider wollen das aber alle Männchen und die Verlierer der Territoriumskämpfe haben noch lange nicht aufgegeben. Entsprechend sind sie stets wachsam, um zu verhindern, dass ein fremdes Männchen sich doch eines der hart erkämpften Weibchen schnappt. So fressen sie wochenlang nicht, da sie den Strand nicht verlassen können, ohne ihr Gebiet aufzugeben. Auch schlafen tun sie kaum, dösen höchstens leicht, immer in Alarmbereitschaft. So werden die Männchen auch oft nicht sehr alt. Das stete Kämpfen zehrt an den Kräften.
Aber auch die Weibchen haben viel zu tun. In den ersten Tagen säugen sie ihr Neugeborenes. In der Regel hat jede nur eines. Selten wurden auch schon Zwillingsgeburten beobachten, doch auch in diesen Fällen konnte die Mutter nur eines versorgen. Danach gehen sie ein paar Tage jagen, um selbst wieder Kräfte zu sammeln und das Jungtier weiter versorgen zu können. Deswegen sieht man sehr oft auch Heuler ohne Muttertier allein am Strand. Sie warten geduldig und versuchen in der Zwischenzeit nicht von aneinandergeratenen Männchen im Eifer des Gefechts zerquetscht zu werden. Das kann für so einen winzigen Heuler schnell zur tödlichen Gefahr werden. Dasselbe gilt für den Fall, dass das Muttertier es nicht zurück zum Strand schaffen sollte, aus welchen Gründen auch immer. Dass andere Weibchen ein Junges adoptiert haben, wurde zwar schon beobachtet, gilt aber als extrem unwahrscheinlich.
Kommt die Mutter aber zurück, findet sie ihr Junges zielsicher im Getümmel und erkennt es am Geruch wieder. Deswegen darf man die äußerst neugierigen Jungtiere auch nicht anfassen, sondern muss zurückweichen, wenn sie sich zu sehr nähern, da sich dies auf den Geruch auswirken könnte und auch dies das Ende des Heulers bedeuten könnte.
Anders verhält es sich, wenn ausgewachsene Tiere, insbesondere Männchen auf einen zukommen. Sie würden es als Spiel verstehen und die Verfolgung aufnehmen, wenn man zurückweicht. Leider wäre dieses Spiel für uns gar nicht lustig, da die Fellrobben an Land bis zu 20 km/h schnell werden können und tatsächlich kräftig zubeißen. Ein Forscher, der mit uns bis zu den Falklandinseln gereist ist, hatte vor einiger Zeit dieses fragwürdige Vergnügen. Statt also wegzulaufen, soll man sich so groß wie möglich machen, die Arme über den Kopf heben und vielleicht klatschen. Dieser Bluff funktioniert in der Regel wohl ganz gut. Denn mehr als ein Bluff ist es eigentlich nicht. Sollte es zu einem Kampf zwischen einem unbewaffneten Menschen und einer ausgewachsenen Fellrobbe kommen, wüsste ich, auf wen ich setzen würde.
Nach diesen ganzen Infos gab’s erstmal was zu essen. Das gibt’s hier ja selten 😉
Am Nachmittag fuhren wir an Shag Rocks vorbei. Der Erste, der Shag Rocks entdeckte, muss hier vermutlich im Winter vorbeigesegelt sein. Er notierte jedenfalls, eine große Insel entdeckt zu haben. Viele Jahre lang folgten andere Segler seinen Hinweisen, um vergeblich danach zu suchen. Tatsächlich handelt es sich lediglich um sechs aus dem Wasser ragende Felsen, bei denen man nicht anlanden kann. Sie liegen bei ca. 55,55°S, 42,03°W mitten im Südlichen Ozean. Der höchste von ihnen erreicht eine Höhe von 71m über dem Meeresspiegel. Man geht davon aus, dass sich bei der ersten Sichtung von Shag Rocks viel Schnee und Eis um die Felsen gebildet hatte, sodass der Eindruck einer Insel entstand. Und „groß“ ist ja bekanntermaßen Ansichtssache…
Wir würden die Steine jedenfalls als eher klein bezeichnen, wenn man sie in Relation zum schier endlosen Ozean sieht. Nichtsdestotrotz ist es schon erstaunlich, sie plötzlich mitten aus dem
Nichts vor sich aufragen zu sehen. Ich musste „shag“ erstmal nachschlagen, bevor ich die Namensgebung verstand. Das englische Wort bedeutet wohl so viel wie „vögeln“. Und tatsächlich ist Shag
Rocks ein beliebter Nistplatz von tausenden South Georgia Cormorants. Und ich habe keine Störche gesehen, die die ganzen Eier gebracht hätten…
Später erfuhr ich allerdings, dass Shag wohl auch so viel wie Kormoran oder Scharbe bedeutet. Meine erste Interpretation finde ich allerdings lustiger.
Auf Deutsch trägt der Vogel wohl den weniger eleganten Namen Südgeorgienscharbe.
Wir haben die spannende Szenerie vom obersten Deck aus beobachtet und fotografiert. Nach einer Weile fragte ich mich, warum nur ein halbes Dutzend Leute sich das Spektakel anschauten. Dann blickte ich nach rechts aufs untere Deck. Dort stapelten sich Menschen und Fotoapparate kreuz und quer. Da haben wir wohl Glück gehabt und uns für das richtige Deck entschieden!
Danach wollten wir die Zeit auf See und den inzwischen anhaltend guten Gesundheitszustand nutzen, um den Spa-Bereich zu erkunden. Jeden Tag steht über dem Programm, das überall aushängt und natürlich täglich gewechselt wird, ein mal mehr, mal weniger interessantes Zitat. Heute empfinde ich es als ausgesprochen passend: "Some of us are over the seasick stage and no longer want to die.”
- Hartford, nach 10 Tagen auf der Nimrod mit Shackleton (1907)
(dt.: "Einige von uns haben das Stadium der Seekrankheit hinter sich und wollen nun nicht länger sterben.")
Wir schnappten uns die Bademäntel, die seit Tagen im Badezimmer unserer Kabine für uns bereit hingen und machten uns auf in die Sauna. Gut, draußen war es kalt, Strom sollte man auch sparen, aber
die 50°C darin waren irgendwie schon etwas frisch.
Nach ca. 25min und etwas erholsamem Schlaf hatten wir genug und beendeten den Saunagang. Am Empfangstresen fragten wir eine Dame, ob man die Saune auch heißer einstellen könne. Sie meinte, das sei schwierig. Warum, verstanden wir auch wegen des starken Akzents leider nicht so genau. Sie ging dennoch in den Saunabereich, um zu schauen, was sie für uns tun konnte. Mit einem Blick stellte sie fest, dass die Sauna ausgeschaltet war, und mit einem Lachen fügte sie hinzu, dass etwas heißer dann vielleicht doch möglich sei.
Während wir darauf warteten, dass sich die Sauna aufheizte, machten wir es uns im Whirlpool bequem. Wir waren hin- und hergerissen. Auf der einen Seite hat es wirklich Spaß gemacht. Auf der anderen Seite haben wir uns schon gefragt, was das an Energie frisst, den Whirlpool nahezu pausenlos hochgeheizt zu lassen, zumal er sich auf dem obersten Außendeck befindet. Zumindest die Blubberblasen hätte man auf Knopfdruck vom Badegast einschalten lassen können, statt sie permanent durchlaufen zu lassen.
Viele Fragen und etwas Entspannung später ging es in die zweite Saunarunde. 75°C. So hatten wir uns das eher vorgestellt. Nach einer schnellen Dusche verfolgten wir noch das abendliche Recap & Briefing aus der Kabine heraus, aßen noch „kurz“ unsere üblichen 5 Gänge zu Abend und kuschelten uns dann schnell ins Bett, da der morgige Tag um 5.30 Uhr beginnen sollte. Wir sollten endlich in Südgeorgien ankommen!
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