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Verliebt, Verlobt - Osterinsel!

Rapa Nui

geschrieben von Franzi

Am Tag vor unserem Abflug auf die Osterinsel, oder Rapa Nui, wie die Einheimischen sich selbst, ihre Sprache und ihre Insel nennen, wollte ich gerne gemütlich auf der schönsten Terrasse Santiagos frühstücken, in meinem Reiseführer stöbern und einen Plan aufstellen, um die fünf Tage bestmöglich nutzen zu können.

 

Nach einer schönen, langen und erholsamen Nacht wachte ich zwischen weißen, dünnen Laken bei angenehm sommerlicher Temperatur in unserem gemütlichen Zimmer auf. Timo saß bereits auf der Terrasse, die ich durch unsere bodentiefe Glasfront sehen konnte. Ich hatte vom Bett aus also bereits den perfekten Ausblick auf das wunderschöne Santa Lucia, dass Timo gerade parallel in einem Blogartikel beschrieb. 

Ich fühlte mich wie eine griechische Urlaubsprinzessin und freute mich unfassbar auf einen großartigen Inselurlaub. Ich weiß nicht genau warum, aber ich liebe Inseln!

Vielleicht, weil das Meer immer in der Nähe ist und ich zudem schneller das Gefühl haben kann, dass wir „alles“ gesehen haben. Im Sommer machen wir deswegen gerne Urlaub auf Inseln. So waren wir schon auf Ischia, Gran Canaria und Kreta. Von letzterer aus haben wir auch einen Tagesausflug nach Santorini gemacht. Auf unserer aktuellen Reise haben wir bereits die Falklandinseln und Südgeorgien angesteuert, die meine Liebe zu Inseln definitiv weiter befeuert haben!

Nun stand also die Osterinsel an, die aufgrund ihrer Abgeschiedenheit und ihrer unklaren, legendenumwobenen Geschichte schon lange eine mystische Wirkung auf mich hat.

 

Als ich meinen Reiseführer aufschlug hatte Timo längst einen genauen Plan ausgetüftelt, gestand mir aber zu, den Donnerstagvormittag verplanen zu dürfen, an dem wir unseren 100. Monatstag feiern würden, sowie den Montag, da dieser komplett verregnet sein sollte und er keine gute Idee für einen Regentag hatte. Äußerst großzügig.       

Während meiner Recherche fand ich zufällig heraus, dass die Osterinsel, die erst seit August 2022 ihre Grenze nach der Pandemie wieder geöffnet hatte, ihre Besucherregeln stark angepasst hat. Man kann kaum noch eine historische Stätte ohne Guide betreten. Die Kosten für eine Tagestour sollen bei rund 65€ p.P., für einen privaten Guide bei rund 185€ p.P. liegen. Wir waren kurz vorm Heulen. Wir hatten Reiseführer und Blogs gelesen, mit Freunden gesprochen, die bereits dort waren. Alle empfahlen, sich für ca. 25€ ein Quad zu leihen und damit selbst über die Insel zu fahren. Das sollte problemlos gehen, sehr schön und günstig sein. Zumal man sogar zu zweit auf ein Quad passt.        

So hatten wir uns unseren Urlaub vorgestellt. Nicht zusammengepfercht in einem Reisebus sitzen und von einem Reiseleiter ständig weitergescheucht werden und der unliebsamen Begleitung dann auch noch 130€-370€ pro Tag zahlen müssen. Verpflegung, Unterkunft und natürlich der Flug waren eh schon sehr teuer und lagen weit über unserem eigentlichen Budget.

 

Doch das sprengte nun alles. Wir prüften, ob man Unterkunft und Flug noch stornieren konnte. Keine Chance.

 

Und so begannen wir aus dem Scherbenhaufen, der mal Timos perfekter Plan war, etwas Neues zusammenzuschustern. Nach ein paar Stunden gaben wir völlig frustriert auf und beschlossen, zumindest noch 2 schöne Stunden zu verbringen und zum Sonnenuntergang in Santa Lucia spazieren zu gehen. Wir konnten uns zwar nicht so richtig von unserer Frustration ablenken, dafür aber eine weitere schöne Reiseerinnerung sammeln, denn die fast arabisch anmutende ehemalige Festung mit ihren tropischen Pflanzen und Brunnen, war wirklich spektakulär.

 

 

Aus einer geruhsamen Nacht wurde auch nichts. Wir packten bis spät in die Nacht. Als eh alles egal war, beschloss ich ein Bad zu nehmen – wenn wir schonmal eine Badewanne hatten. Es gab zwar nur kaltes Wasser, bei der Hitze stellte ich mir das aber nicht so schlimm vor. Dazu gab es die zweite Hälfte der Weinflasche, die ich noch im Kühlschrank hatte. Aber natürlich folgte wenig überraschend die nächste Enttäuschung: Es gab keinen Stöpsel.   

So trank ich meinen Wein nach einer kalten Dusche im Bett und schaute das Staffelfinale eine Netflix-Serie. Um Timo zu beruhigen, meinte ich noch halbherzig, dass nichts so heiß gegessen wie gekocht wird und dass wenn ich an Reisehighlights zurückdenke, ich eigentlich nur daran denke, wie einmalig und beeindruckend die Erlebnisse waren und nie daran, wie viel Geld wir dafür ausgegeben haben. Ob uns das bei der Osterinsel auch gelingen wird?

 

Nach wenigen Stunden riss uns der Wecker gegen 4.30 aus dem Schlaf. Unser Gastgeber Victor begleitete uns noch zum Uber und schon fuhren wir zum Flughafen. Wegen der etwas unklaren Einfuhrregelungen war ich sehr nervös. Die Osterinseln gehören zu Chile. Eigentlich ist es also ein Inlandsflug. Da Chile aufgrund der Anden aber recht abgeschieden ist, was Flora und Fauna angeht, haben sie strenge Einfuhrregeln, was Lebensmittel angeht. Unklar ist, ob diese auch für die Sonderzone Osterinsel und insbesondere für den Inlandsflug gelten. Die Abgeschiedenheit trifft auf die Osterinsel ja eindeutig auch zu. Deswegen sind Lebensmittel dort aber auch sehr teuer, weswegen jeder so viel Essen mitnimmt, wie nur geht. Tatsächlich checkten viele Leute Kühltruhen oder einfach nur Kartons voller Essen als Koffer ein.

Auch Unsere Vorräte gingen glücklicherweise problemlos durch. Einzig Honig darf man nicht einführen, da in Chile wohl irgendeine Krankheit unter Bienen verbreitet ist, die auf der Insel erfolgreich ausgerottet wurde.

 

Spannend war noch, dass es bei der Passkontrolle noch einen weiteren „Entrada“-Stempel in unsere Pässe gab, obwohl wir ja schon seit Wochen in Chile waren. Hoffentlich meckert da nie jemand, dass wir quasi zweimal eingereist sind ohne zwischendurch ausgereist zu sein. Spoiler: Bei der Rückreise gab es keinen weiteren Stempel. Ein schwer zu durschauendes System…

Und dann ging es los. Wir flogen hinein in die Morgendämmerung. Allerdings waren wir wesentlich langsamer als die Sonne, sodass es ohne die Fensterverdunklung bald taghell war. Nach rund fünfstündigem Flug erspähte ich von meinem Fensterplatz aus die Insel unter uns und beim Landeanflug sogar den ersten Moai, wie die weltbekannten Statuen der Osterinsel heißen.

 

Aus dem Flugzeug gingen wir einfach zu Fuß über das Rollfeld hinein in die winzige Flughafenhalle. Große „Iorana“-Buchstaben hießen uns willkommen. „Iorana“ ist eine sehr gängige Grußformel auf Rapa Nui.

Wirklich gutes Marketing machte ein Einheimischer, der in beeindruckend traditioneller – und minimalistischer – Bekleidung an alle Ankömmlinge Flyer verteilte, um sich später während des Urlaubs ähnlich gekleidet fotografieren zu lassen. Auch die ersten Tourguides steckten eifrig allen ihre Nummern zu. Vollbepackt, die Hände voller Zettel verließen wir das Terminal und versuchten Kori, den Hostelbesitzer, ausfindig zu machen. Es herrschte buntes Treiben, da es allgemein üblich ist, seine Gäste persönlich abzuholen und mit einer (echten!) Blumenkette zu beschenken. Auch wir bekamen welche und fuhren zusammen mit Hannah, einem dritten Gast ins Hostel. Eine wirklich einfache, kleine, aber überaus schöne Begrüßungsgeste!

Wir fühlten uns auf Anhieb wohl, Kori war supernett, zeigte uns auf der Autofahrt ein paar Dinge in Hanga Roa, dem einzigen Dorf der Insel und überschüttete uns mit hilfreichen Tipps, Tricks und Angeboten in einem langen Gespräch nach dem Einchecken. Einziger und völlig unverständlicher Wermutstropfen: Man bucht Unterkünfte in Chile in der Regel in Dollar (warum auch immer?!). Der Wechselkurs wird dann vom Hostel bestimmt. Meistens läuft das über eine offizielle Website. Manche nehmen hier den Tageskurs, andere den Monatsschnitt. Meistens läuft es etwas zu unserem Nachteil. Es ist also grundsätzlich ätzend, quasi immer blanco zu buchen und dann zu hoffen, dass der festgelegte Kurs nicht allzu schlecht ist. Kori dagegen hat einfach einen für sich selbst festgelegten, ausgedachten Kurs von 900 Pesos pro US-Dollar angesetzt. Der offizielle Kurs lag bei rund 800. Entsprechend mussten wir wegen des happigen Wechselkurses rund 35€ mehr hinlegen, als fair gewesen wäre. Er bot uns an, bar in Dollar zu zahlen. Aber woher (so viele) Dollar nehmen und nicht stehlen?! Wir vertagten die Zahlung und beschlossen in der Bank zu schauen, ob wir dort günstiger wechseln könnten.

Nach diesem unangenehmen Gespräch wechselte Kori wieder zu seinem normalerweise super sympathischen Wesen und lud uns zum Mittagessen ein, dass er gekocht hatte.    

Abends machten wir uns noch auf zu einem der wenigen Ziele, die man ohne Guide besuchen kann, der Höhle Ana Kai Tangata. Der Weg war weiter als gedacht. Zumal wir nach der kurzen Nacht sehr müde waren. Hinzu kam noch die zwei Stunden Zeitverschiebung, sodass es sich für uns schon nach spätem Abend anfühlte.

Die Mühe wurde aber durch einen wunderen Blick auf den Pazifik mit Wind- und Wellenumtosten Steilklippen belohnt. Wir stiegen eine steile Felsentreppe hinab zum Eingang der Höhle. Sie war ebenerdig und die Wellen schwappten fast bis zu ihrem Eingang.

In dieser Höhle sollen sich Männer auf den legendären, alljährlichen Wettkampf zur Bestimmung des neuen Vogelmannes vorbereitet haben. Jedes Jahr wählte jeder Clan der Rapa Nui ihren besten Mann als Repräsentanten aus. Diese Repräsentanten kletterten in einem lebensgefährlichen Wettkampf eine hohe Steilklippe herunter. Dabei trugen sie Schwimmbretter auf dem Rücken, die wohl traditionell ebenfalls in Ana Kai Tangata hergestellt wurden. Auf den Brettern schwammen sie ca. 1,5km zu der vorgelagerten Mini-Insel Motu Nui. Dort nistete die Rußseeschwalbe, der einzige Zugvogel, der auf der Insel Halt machte. Die Schwalbe war also eine Art Kalender und ihre Ankunft, die durch ihr charakteristisches Krähen durch die Tiere selbst verkündet wurde, ließ alle Rapa Nui wissen, dass der Wettkampf bevorstand.

Auf Motu Nui angekommen mussten die Männer ein Rußseeschwalbenei finden. Manchmal dauerte es sogar Wochen, bis endlich eines gelegt wurde. Die Wettkämpfer brachten deswegen auf ihren Schwimmbrettern auch Wasser und Nahrung mit. Das Ei wurde mithilfe von Täschchen aus Maulbeere an der Stirn befestigt. Dann ging es zurück durchs Wasser und die Klippen wieder hoch. Laut Lonely Planet standen Knochenbrüche an der Tagesordnung. Es gab aber wohl auch den einen oder anderen Todesfall durch Abstürze oder Haiangriffe. Wer am schnellsten mit einem intakten Ei zurück auf der Hauptinsel war, wählte den sogenannten Vogelmann aus, indem er ihm das Ei übergab. Der Vogelmann war nun für ein Jahr der mächtigste Mann der Insel. Dieser Wettkampf wurde wohl sogar im 19. Jahrhundert noch ausgetragen. Laut einer Inselbewohnerin aber in vereinfachter Form, da die Europäer seit 1722 die Insel entdeckt hatten und wie so oft Großteile der einheimischen Bevölkerung Krankheiten wie Lepra oder Pocken erlegen sind. Lepra soll es bis spät ins 20. Jahrhundert auf der Insel gegeben haben. Zwischenzeitlich gab es bei einer Volkszählung vermutlich nur noch ca. 150 Rapa Nui, was auch ein Grund dafür ist, dass viele Aspekte und Hintergründe der früheren Kultur verloren gegangen sind. Man weiß nur noch in etwa das, was diese wenigen Überlebenden zu erzählen wussten.

Vorsichtig betraten wir die Höhle. Schilder warnten vor möglicherweise herabfallenden Steinen. An den Wänden und der Decke konnte man Malereien des Vogelmannkultes erkennen. Leider haben die Rapa Nui nur einzelne Dinge wie Tiere gemalt oder in Steine geritzt, nie sind Szenen zu sehen, die mehr Aufschluss über das frühere Leben gegeben hätten. 
Inzwischen war es recht dunkel, wir stolperten immer öfter vor Müdigkeit und so schlug ich vor, den geplanten Aufstieg auf einen der drei Vulkane der Insel zu vertagen. Auch Timo musste zustimmen, dass eine Rückkehr zum Hostel das einzig Vernünftige war.

Am Montag regnete es Sturzbäche. Seit zwei Wochen waren die Wetterprognosen hier eindeutig. Die Regenwahrscheinlichkeit lag bei 100%. Auf unsere Frage, was man bei schlechtem Wetter unternehmen könne, antwortete Kori immer nur, dass wir uns keine Gedanken machen sollen, die Vorhersagen würden eh nie stimmen. Wir erinnerten uns sehr an Kreta. Auch dort sollte es während eines Urlaubstages ein Weltuntergangsszenario geben. Da es im Sommer aber nie regnet, wurde im Hotel den ganzen Tag trotz der schlechten Vorhersage ein großes Grillfest vorbereitet. Wir wiesen mehrfach darauf hin, dass das Grillen nicht würde stattfinden können. Die Leute lachten nur und auch sie meinten, es würde eh nie regnen. Als am frühen Abend Blitz und Donner über dem Hotel hereinbrachen machten alle große Augen. Es tat uns schon sehr leid für die viele vergeudete Mühe, aber überrascht hat es uns am Ende keineswegs…

Nun traf also die Prognose auch auf die Osterinsel zu. Wir versuchten ein paar Dinge zu organisieren wie Postkarten, Schnorchel-Ausrüstung, Dollar-Wechseln, Auto mieten, Touren buchen etc. Nach zwei Stunden waren wir hart frustriert und klitschnass. Unser vermeintlich hochwertige Regenausrüstung hatte dem Starkregen nur kurz standhalten können. Der Nationalpark, aus dem die Insel zu 43% besteht, war geschlossen. Unsere gebuchte Nachmittagstour abgesagt. Der Strom und das Internet waren ausgefallen. Postkarten hatten wir nicht bekommen, der Plan für die nächsten Tage stand. Das Museum, das einzig Sinnvolle bei diesem Wetter, war montags geschlossen. Wir waren sehr frustriert so gar nichts mit einem unserer kostbaren Tage auf der Osterinsel anfangen zu können. So kochten wir sehr früh Abendessen. Danach ging der Strom zum Glück wieder und da auch alle anderen im Hostel nichts Besseres zu tun hatten, machten wir einen gemeinsamen Fernsehabend und legten die DVD „Rapa Nui“ ein. Der Kevin-Costner-Film von 1994 war ein großer Flop in den Kinokassen, auf der Osterinsel aber natürlich allgegenwärtig. Gefühlt jeder kannte jemanden, der in dem Film mitgewirkt hatte. Wir haben danach heiß über den Film diskutiert. Ich würde sagen, er basiert auf Fakten. Viele im Film gezeigte Aspekte entsprechen zwar tatsächlichen geschichtlichen Vorkommnissen, sind aber teilweise aus verschiedenen Epochen zusammengewürfelt, völlig überspitzt oder frei erfunden/interpretiert. Leider wird darauf nirgends hingewiesen, sodass ohne intensivere Selbstrecherche beim Zuschauer der Eindruck entstehen könnte, alles im Film Gezeigte sei historisch korrekt. Schade! Aber eine gute Grundlage für interessante Gespräche mit unserem Guide am nächsten Tag.

Am Dienstag hatten wir einen ganztägigen Ausflug mit Malena, einer deutschen Touristenführerin, über eine Agentur gebucht. Mit von der Partie war mit der lieben Kerstin nur eine einzige andere Touristin. Scheinbar hatten wir mit unserer deutschen Muttersprache viel Glück! Hannah, die Engländerin aus unserem Hostel, die mit uns zusammen auf der Insel angekommen war, hatte dieselbe Tour gebucht, natürlich auch denselben Preis gezahlt, war aber mit 15 anderen in einer großen Gruppe unterwegs, in der der Guide alles auf Spanisch und Englisch erklärte, also quasi nur die halbe Zeit je für die halbe Gruppe hatte.

Unsere quasi Privattour führte uns zunächst in eine Art Freiluft-Interpretationszentrum, wo ein altes Dort wieder aufgebaut worden war, um Touristen einen guten Eindruck des früheren Lebens und der früheren Architektur zu geben. Malena erklärte uns, wie Gärten angelegt wurden. Sie sahen quasi wie Brunnen aus, in deren Mitte gepflanzt wurde, um die Pflanzen vor Wind und Salz aus dem Meer zu schützen. Die Häuser dienten vermutlich nur zum Schlafen. Die Konstruktionen aus Holz und Gräsern hatten ihre Öffnung stehts zum Meer hin, warum weiß man nicht genau. 

Die Hühnerställe waren große steinerne Quader, die nur eine einzige winzige Öffnung in Hühnergröße hatten. Vor der Pandemie wurden darin von den Park-Rangern sogar Hühner gehalten. Da es für Menschen keine Zugriffs- oder Zutrittsmöglichkeiten gibt, scheinen einerseits die Eier nicht gegessen worden zu sein und andererseits fragten wir uns alle, wie die Ställe wohl reinlich gehalten wurden. Oder vielleicht auch nicht…? Hühner waren auf jeden Fall mit eines der besten Nahrungsmittel auf der Insel und entsprechend wertvoll. Normalerweise brachten die Polynesier, die auch die Osterinsel besiedelten, zur Gründung einer neuen Siedlung neben Hühnern auch Hunde und Schweine mit. Man hat aber keine Knochen von ihnen gefunden, weswegen man davon ausgeht, dass keines dieser Tiere die lange Fahrt überstanden hat.

 

Unser nächster Stopp war dann Akahanga. Hier waren die Überreste eines alten Dorfes zu sehen. Ohne die vorherigen Erklärungen Malenas, hätten wir hier wohl nur Steine gesehen, doch nun erkannten wir Verschiedenes in den verbliebenen Grundrissen. Auch umherliegende Moais waren zu erkennen. Bei leichtem Regen erklärte uns Malena in einer Höhle hockend einiges zur früheren Kultur und beantwortete unsere vielen Fragen.

Danach gings weiter nach Ahu Tongariki. Sogenannte Ahus sind große Plattformen aus Vulkangestein, die gebaut wurden, um Moais auf ihnen zu errichten. Es gab vermutlich einen Zeitpunkt, als so ziemlich alle Moais der Insel umgefallen oder umgestoßen waren und keiner mehr auf seinem Ahu platziert war. Erst Mitte der 1950er Jahre richtete der Norweger Thor Heyerdahl zusammen mit Rapa Nui den ersten Moai am Anakena-Strand wieder auf. Seitdem wurden einige Moais wieder auf ihre Ahus gestellt. Man konnte dabei nicht immer die genaue Position und Reihenfolge rekonstruieren. Zudem zogen sich viele Moais beim Sturz einen Nackenbruch zu, dessen Reparaturen man beim genauen Hinsehen oder bestimmen Sonnenlicht teilweise deutlich erkennen kann. Auch trugen einige einen roten, zylindrischen Aufsatz, den manche als Haar, manche als Hut bezeichnen und der auf Rapa Nui Pukao heißt. Diese Pukaos konnten nicht alle zugeordnet werden, sodass manche einfach weiter im Gras liegen. In Ahu Tongariki stehen 15 Moais nebeneinander. Einer von ihnen ist der größte, der jemals aufgerichtet wurde. Ob ein Moai bereits stand oder nicht, ist daran zu erkennen, ob die Augen rund oder eckig sind. Bei der Herstellung erhielten alle Moai eckige Augenhöhlen. Erst beim Aufrichten wurden die groben Augenaushöhlungen schön rund ausgearbeitet und anschließend eine Koralle als Auge hineingelegt.

Wie genau diese Arbeit verrichtet wurde ist ziemlich unklar. Theorien gibt es aber natürlich viele. 

Ahu Tahai - Moai mit rekonstruierten Korallenaugen
Ahu Tahai - Moai mit rekonstruierten Korallenaugen

Unabhängig davon, ob sie nun 100% korrekt stehen wie früher, ist es ein äußerst beeindruckender Moment, das erste Mal vor den imposanten Statuen zu stehen, die stoisch geradeaus blicken, immer auf das nächste Dorf. Im Film scheinen die Einheimischen fast im Wahn immer mehr und immer größere Statuen für eine Gottheit zu schaffen, von der sie sich erhoffen, von der Insel errettet zu werden, da ihr Ressourcen immer weiter schwinden. 
Malena erzählt uns dagegen, dass die Moai nach dem Tod eines bedeutenden Mitglieds der Gemeinschaft errichtet wurden. Es handelt sich also um einen Ahnenkult. Mit dem Einsetzen der Korallenaugen wurden die Moai quasi zum Leben erweckt, sodass die Ahnen, deren Knochen in der Regel unter dem Ahu lagen, im Moai weiterexistierten, das Dorf schützten und ihre Gabe, ihre Macht, ihr Mana, wodurch sie für das Dorf besonders gewesen waren, weiter ausstrahlten.

Zurück am Auto stellten wir fest, dass Malena es nie abschloss. Darauf angesprochen, ob es hier gar kein Problem mit Kriminalität gäbe, meinte sie überraschenderweise, doch klar, gäbe es das, wie überall auf der Welt. Es würden auch mal Dinge gestohlen, aber die wichtigen Dinge wie sein Handy hätte man ja eh immer dabei und nicht im Auto. Nope, mein Handy lag recht offensichtlich auf der Rückbank. Zudem fand ich es ein klein wenig anmaßend, dass sie eigenmächtig entschied, wie schlimm der Verlust meiner persönlichen Gegenstände wäre. So ein großer Aufwand wäre es ja nicht auf das Knöpfchen zu drücken, um das Auto abzuschließen…

Am nächsten Stopp nahm ich zumindest mein Handy mit. Wir waren nun in Rano Raraku, dem Steinbruch, in dem so ziemlich alle Moais hergestellt wurden. Für mich war dies einer der beeindruckendsten Orte der ganzen Insel! Überall standen und lagen Moais in der Gegend herum! Ich glaube, knapp 400 wurden dort gefunden. Irgendwo habe ich eine sehr schöne Beschreibung gelesen. Darin stand, es sähe so aus, als marschierten die Moais zum Pazifik, als sie auf ihrem Weg plötzlich erstarrten und umfielen. Genauso sieht es aus!    

Dadurch, dass so viele unfertige Moais zu sehen sind, kann man den Herstellungsprozess relativ gut rekonstruieren. Eigentlich wollte ich dies anhand einer Fotoserie verständlicher machen, aber die Bilder fehlen mir nun leider zurzeit.

 

Zunächst wurden die Gesichter in den Tuffstein geschlagen. Verwendet wurden hierfür Werkzeuge aus dem etwas härteren Basalt. Tatsächlich gibt es auch wenige Moais aus Basalt, bei denen völlig unklar ist, wie sie erschaffen wurden, da Basalt das härteste Material auf der Insel ist.

 

Wenn die Gesichter und die gesamte Vorderseite fertig waren, begann man den Fels an der Rückseite grob abzuschlagen, bis die Statue nur noch an einer Art Keil befestigt war. Als letztes wurde auch dieser Keil abgetrennt. Im heikelsten Moment des Schaffungsprozesses rutschte der Moai den Fels hinunter in eine vorbereitete Kule, in der er – hoffentlich – zum Stehen kam. Dort konnte dann die Rückseite fertiggestellt werden.          

Inzwischen sind viele dieser Gruben wieder zugewachsen, weswegen nur die Köpfe herausschauen. Malena war es sehr wichtig zu betonen, dass es sich um ganze Statuen und nicht nur um Köpfe handelt. Scheinbar gibt es wohl viele Menschen, in denen sich das Bild der „Osterinsel-Köpfe“ eingebrannt hat. Ihr war sehr wichtig, dass die Statuen auch Arme, Hände und Körper haben. Ein einziger Moai, ebenfalls im Steinbruch anzutreffen, kniet sogar.     

 

Spannend bleibt in jedem Fall die Frage, warum es so viele unfertige Moais älteren Datums gibt, die nicht fertiggestellt wurden und viele jüngeren Datums, die es bis zu einem Ahu geschafft haben. Durch die eckigen oder runden Augenhöhlen weiß man auch, welche Moais von ihren Ahus gefallen sind und welche unterwegs „liegengeblieben“ sind.      

Unterwegs entdeckten wir auch den Moai, der das Titelbild meines Chile Lonley Planet darstellt. Nur der krasse Sternenhimmel vom Buch blieb uns vergönnt. Weder als wir (mitten am Tag) bei dem Moai standen, noch in einer der vielen wolkenverhangenen Nächte hatten wir das Glück, einen der wohl sagenhaftschönen Sternenhimmel über der Osterinsel sehen zu können.           

Das Foto auf dem Lonley Planet muss auch schon etwas älter sein, da die hölzerne Wegmarkierung, die den Moai nun umsäumt, noch nicht zu erkennen ist.

 

Beim Mittagessen mit Blick auf den imposanten Steinbruch klagten wir Malena und Kerstin unseren Ärger mit dem Wucher-Wechselkurs des Hostels. Beide hatten viel Verständnis für uns und Kerstin sogar eine großartige Lösung.

Sie zückte ihr Portemonnaie und zählte uns die benötigten Dollar auf den Tisch. Wir sollten ihr das Geld einfach später zurücküberweisen. Der Wechselkurs war ihr egal, wir wären sicherlich fair mit ihr. Wir kamen aus dem Staunen gar nicht raus, entschuldigten uns, dass wir aufgrund fehlendes Internets nicht sofort überweisen konnten und rechneten ihr einen Wechselkurs in unserer Währungsrechnerapp mit einer kleinen Dankeschön-Aufrundung vor. Sie winkte nur ab und meinte, wir sollten uns bloß nicht so stressen. Unfassbar, was für großartige Menschen es gibt!

Viele Moais leiden inzwischen an einem Genickbruch
Viele Moais leiden inzwischen an einem Genickbruch

Nachdem wir uns noch einige Male bedankt hatten, führte uns unsere Tour weiter nach Te Pito Kura. Dort war die Hauptattraktion ein fast kugelrunder Stein. Der Legende nach soll einer der ersten Siedler ihn mitgebracht haben, da er Kräfte habe und voller Mana sei. Er wurde dort platziert, um den Nabel der Welt zu markieren. Meine Eltern haben früher immer zu mir gesagt, ich sei nicht der Nabel der Welt. Vielleicht hatten sie damit recht, dafür bin ich jetzt zumindest mal dagewesen und habe ihn mir aus nächster Nähe ansehen können 😉

Malena meinte, Menschen, die besonders offen seien für (heilende) Energien, sagen, sie spüren auch etwas in der Nähe des Steins. Wir sind dafür tendenziell nicht so offen und haben auch nichts Außergewöhnliches gespürt. Aber ich finde den Gedanken schön, dass manche Menschen, sich hier quasi aufladen können. Früher durfte man den Stein auch noch anfassen und staunend bewundern, wie die Nadel eines Kompasses durch den (messbar vorhandenen!) Magnetismus in die Irre geführt wurde. Es handelt sich allerdings nur um schwachen Magnetismus. Ein Kühlschrankmagnet würde bspw. nicht an ihm haften bleiben. Leider wurde wohl insgesamt nicht respektvoll genug mit der besonderen Stätte umgegangen, weswegen auch hier nun inzwischen eine geschmackvolle Absperrung errichtet wurde.

Wahrscheinlicher, als dass ein Siedler, der ins Ungewisse aufbrechend nur das Allernötigste einpacken kann, ausgerechnet einen großen schweren Stein in sein Boot legt, ist übrigens, dass der Stein bei einem Vulkanausbruch dorthin geschleudert wurde. Diese Erklärungsmöglichkeit wird zudem dadurch unterstrichen, dass der Stein (vor Errichtung der Barriere) einfach nur am Ufer lag. Kein Altar, keine Kennzeichnung, kein gar nichts, dass auf ihn als große Besonderheit aufmerksam machen würde. Er liegt einfach nur da. Die vier kleineren Steine um ihn herum wurden erst in der jüngeren Zeit dort platziert. Sie dienten einerseits als Sitzgelegenheit und markierten gleichzeitig die vier Himmelsrichtungen, um den Touristen das Aussetzen des Kompasses noch besser vor Augen führen zu können.  

Generell meint Malena, habe sie auch an anderen Stellen der Insel per Zufall bemerkt, dass teilweise auch der Sand magnetisch ist. Zwar nicht so sehr, wie in manchen Reiseführen beschrieben, aber schon bemerkbar. Auch wir haben gelesen, an einem Punkt der Insel könne man im Auto den Motor abstellen und sich durch magnetische Anziehungskraft langsam einen Hügel hinaufziehen lassen. Laut Malena aber eine optische Täuschung, tatsächlich gehe es dort etwas bergab.

Am Ende der Tour hielten wir noch ein Stündchen am malerischen Anakena-Strand. Südsee, so wie man sie sich vorstellt! Weißer Sandstrand, (importierte) Kokosnusspalmen, strahlend blaues, glasklares Wasser! Und als wäre das noch nicht bezaubernd genug, ein einzelner Moai und Ahu Nau Nau mit 5 ganzen und 2 halben Moais, die der ganzen Szenerie noch das einzigartige Osterinsel-Feeling geben! Am Donnerstag werden wir uns ein Auto mieten und definitiv noch einmal in Ruhe hierher zurückkehren!

Abends genossen wir dann noch den Sonnenuntergang am einzig wahren Sonnenuntergangs-Spot der Osterinsel, dem Ahu Tahai! Leider etwas wolkig, aber wirklich schön. Nur die streunenden Hunde waren etwas anstrengend, da sie permanent die freiumherlaufenden Pferde anbellen. Krass, welche Ruhe diese Pferde haben! Wäre ich das Pferd und ein Hund würde mich pausenlos anbellen und das über Minuten, hätte ich bestimmt längst mal zugetreten. Aber viel mehr als Ohrenanlegen kam als Reaktion nicht.              

Direkt am Ahu Tahai befindet sich ein nettes Restaurant, in dem Timo für Donnerstagabend anlässlich unseres 100. Monatstages einen Tisch reserviert hat. Da wir nun eh schon da waren, suchten wir uns kurzerhand den allerschönsten Tisch draußen aus und reservierten ihn explizit für diesen schönen Anlass.

Auf dem Nachhauseweg durchlitt ich die sicherlich schlimmsten 20 Minuten unserer Osterinselreise. Überall waren Kakerlaken. Wirklich. Überall. Bestimmt alle zwei Meter eine. Es gab kein Entrinnen.

Seit ich in der Vergangenheit bereits mehrere Male Bekanntschaft mit Kakerlaken direkt an meinem Körper und/oder in meinem Bett machen „durfte“, empfinde ich einen sehr ausgeprägten Ekel vor ihnen, der definitiv schon in Angst umgeschlagen ist. Wenig hilfreich war sicherlich auch ein eigentlich lustiger Kinderfilm, den ich vor sehr langer Zeit gesehen habe, an dessen Beginn aber jemand versehentlich eine Kakerlake verspeist und daran verstirbt. Meine arme Mutter musste meinem Bruder und mir lange Zeit bei jeder Mahlzeit versichern, dass sich wirklich keine Kakerlaken in unserem Essen verbergen.

 

So musste Timo am Ende gut aufpassen, dass ich vor lauter Kakerlaken-Panik und hin- und hergehopse nicht noch versehentlich vor ein Auto springe. Noch nie war ich so dankbar, endlich zu Hause gewesen zu sein. Ich versuche diesen schrecklichen Heimweg als Schocktherapie zu verbuchen.

 

Am Mittwochvormittag unternahmen wir erneut gemeinsam mit Kerstin und Malena einen Ausflug. Kerstin war so lieb und wechselte uns sogar noch einmal einen Dollarschein, den Kori wegen eines maximal einen Millimeter tiefen Risses nicht annehmen wollte. Die einheimischen Banknoten dagegen sind teilweise bekritzelt und mit Tesafilm repariert. Wer weiß, was da in Wahrheit dahintersteckte… Mit Sicherheit war es für ihn jedenfalls nun ein Minusgeschäft, da er ja jetzt der Bank noch Wechselgebühren zahlen musste. Wirklich schade, dass er nicht einfach einen fairen Kurs angeboten hat!

Weiblicher Moai
Weiblicher Moai

Bevor es zur Hauptattraktion des Vormittages, Orongo, ging, hielten wir noch an ein oder zwei historischen Stätten. Langsam hatten wir das Gefühl, die meisten Fragen gestellt und die wichtigsten Dinge verstanden zu haben.

 

Spannend fand ich auf jeden Fall aber noch eine der wenigen weiblichen Moais in Ahu Vinapu zu sehen! Vermutlich gibt es nur sehr wenige, da mit den Moais ja wichtige Ahnen verehrt wurden und wie so oft, die als am wichtigsten wahrgenommenen Mitglieder der Gesellschaft eher Männer und nur selten Frauen waren.

Orongo ist eine Kultstätte oben auf einem Vulkan. Von hier aus wurde der legendäre Vogelmann-Wettkampf bestritten. Man konnte von hier auch die Insel sehen, auf der früher die Rußseeschwalbe nistete. Sie ist inzwischen nicht ausgestorben, nistet aber nicht mehr auf Rapa Nui. Spannend ist außerdem, dass in Orongo die einzigen Hütten aus Stein stehen. Normalerweise bestanden sie hauptsächlich aus Holz und Gräsern. Sie aus Stein zu bauen, musste viel aufwändiger gewesen sein. Und sie wurden nur wenige Tage oder Wochen im Jahr genutzt, während die Clans auf die Rückkehrer des Wettrennens warteten und auf dem Vulkan schliefen.

 

Wie bereits beschrieben durfte der Sieger den neuen Vogelmann auswählen. Aber auch er sollte natürlich belohnt werden. Er bekam der Überlieferung nach drei Jungfrauen. Da er als stärkster Mann von Rapa Nui galt, sollte er möglichst viele Nachkommen zeugen. Als eine dieser Jungfrauen ausgewählt zu werden, sollte wohl als Ehre gelten. Die schönsten aus allen Clans wurden ausgewählt und dann einige Wochen in die Jungfrauenhöhle am anderen Ende der Insel gesperrt. Das hatte den Zweck, dass sie einerseits durch die Abwesenheit von Sonnenlicht blassere Haut kriegen sollten, was als schön galt, und durch die mangelnde Bewegung andererseits etwas zulegen sollten, um gut genährt in die bevorstehende Schwangerschaft gehen zu können. Um die Jungfrauenhöhlen ranken sich tatsächlich viele Legenden. Manche sagen, junge Mädchen sollten darin ihre Jungfräulichkeit bewahren. Andere, sie sollten dort von Älteren in die Kunst der Liebe eingeweiht werden. Vielleicht wurden auch nicht nur Mädchen, sondern auch Jungen nicht nur in Höhlen, sondern auch zu Hause festgehalten, insbesondere um die Haut so blass wie möglich zu halten.  

Eine weitere Legende besagt, dass es einmal einen Mann gab, der Jahr für Jahr den Wettkampf gewann und Jahr für Jahr den Vogelmann innerhalb seines Clans bestimmte. Bis er eines Jahres infrage stellte, warum eigentlich nicht er selbst der Vogelmann sei, schließlich sei er offensichtlich der stärkste und beste von allen. Daraufhin hakte man seine Hände ab. Daran erinnern soll ein Stein in Orongo, auf dem zwei Hände eingeritzt sind. In einer anderen Version sind dies einfach die Hände eines Priesters, der ein Ritual durchführt. Ich denke aus all diesen Legenden und Mythen und der Unwissenheit besteht ein Großteil der Faszination Osterinsel.

Steinhaus in Orongo. Auf dem Haus, auf einem der linken Steine sind die Petroglyphen der Hände zu sehen.
Steinhaus in Orongo. Auf dem Haus, auf einem der linken Steine sind die Petroglyphen der Hände zu sehen.

Nach dem Besuch in Orongo machten wir noch einen Abstecher in die Höhle Ana Kai Tangata, die wir bereits am Sonntag angeschaut hatten.


Nach einem hintergeschlungenen Mittagsmahl aus Instantnudeln holte uns Bruno ab. Der 20-jährige versucht seit wenigen Monaten als Guide Fuß zu fassen und hat uns einerseits durch sein Engagement, andererseits durch seine Flexibilität im Preis von sich überzeugt. Er lebt seit seinem fünften Lebensjahr mit – wie er nicht müde wird zu betonen – seinen zwei Müttern auf Rapa Nui. Tatsächlich merken wir, dass wir kaum noch Fragen haben. Mehr als die Geschichte der Osterinsel interessiert uns seine Wahrnehmung vom Inselleben als junger Erwachsener. Ich glaube, er war ein wenig irritiert, hat aber auch gerne auf all diese Fragen geantwortet. Er meinte unter anderem, dass rund 80% seiner Schulfreunde die Insel nach dem Abschluss verlassen hätten. Ein Studium sei auf der Insel nicht möglich. Vielleicht künftig als Fernstudium, aber aktuell müsse man dafür aufs Festland. Und Jobs sind natürlich rar. Wir haben auf jeden Fall Respekt vor seinem Entschluss, in die Selbstständigkeit zu gehen und versuchten ihn so gut es geht, zu ermutigen, auf jeden Fall dranzubleiben.            

Wir erkunden gemeinsam zwei verschiedene inzwischen natürlich verlassene Wohnhöhlen, Ana Te Pahu und Ana Kakenga, die recht abgelegen sind und nur durch einen längeren Fußmarsch vorbei an vielen Pferden und Fohlen zu erreichen sind. So haben wir viel Zeit, zu reden. Interessant finde ich auf jeden Fall, dass Bruno einige Geschichten als „wahr“ erzählte, die Malena als „Quatsch“ abgetan hat. Sie meinte allerdings auch, jeder Guide habe vermutlich ein bisschen seine eigene Wahrheit. Die Erzählung von Bruno analog des Kevin-Costner-Films, dass es früher „Langohren“ auf der Insel gegeben habe, die die „Kurzohren“ unterdrückt und zum Bau der Moais gezwungen habe, halte ich aber dennoch nicht für die wahrscheinlichste Variante.

 

Aufgrund des vielen Regens stehen die Höhlen leider etwas unter Wasser, weswegen wir nicht so weit rein können, wie sonst. Tatsächlich regnet es in einer Höhle quasi von der Decke, obwohl der Regen draußen schon zwei Tage her ist. Erstaunlich wie lange sich das Wasser seinen Weg sucht!         

Von einer Höhle, Ana Kakenga, aus hat man einen herrlichen Blick aus zwei „Fenstern“ auf den Pazifik. 

Eines der zwei Fenster in Ana Kakenga
Eines der zwei Fenster in Ana Kakenga
Timo und Bruno vor dem steilen Abgrund des Höhlenfensters
Timo und Bruno vor dem steilen Abgrund des Höhlenfensters
Geschützter Garten in Ana Te Pahu
Geschützter Garten in Ana Te Pahu
Bienenstock vor Ana Te Pahu
Bienenstock vor Ana Te Pahu

Die andere, Ana Te Pahu, hat einen richtigen kleinen Garten mit Bananen und sogar zwei Bienenvölkern. Ich glaube allerdings, dass es beides früher noch nicht hier gab, sondern eingeführt wurde. Besonders cool sind die Guaven, die gerade überall reifen und die man sich einfach im Vorbeigehen abpflücken und snacken kann.

Auf den Straßen sehen wir auch Mangos und Avocados, sie sind aber leider noch nicht reif. Ich glaube, es ist für uns beide das erste Mal, dass wir echte Bananenstauden gesehen haben. Als ich fragte, wie man sie pflückt, meinte Bruno, man werfe den Baum um, wenn die Bananen reif seien. Die Stauden würden eh absterben, wenn sie einmal Früchte getragen hätten, und so käme man am leichtesten ran. Hätte ich nie gedacht!

Auf dem Rückweg hielten wir noch bei Ahu Akivi. Die sieben Moais hier sind die einzigen, die aufs Wasser schauen. Normalerweise schauen sie auf das zu schützende Dorf. Vermutlich sind sie zu Ehren der ersten sieben Siedler Rapa Nuis errichtet worden, die natürlich vom Wasser her kamen.

Etwas müde nach dem langen, spannenden Tag kehrten wir ins Hostel zurück. Doch Zeit zum Ausruhen hatten wir keine. Nach einer schnellen Dusche und dem Tausch der verdreckten Klamotten gegen ein bisschen was Schickeres, ging es schon wieder weiter. Wir hatten einen Abend mit traditionellem Tanz und Essen gebucht. Es kam uns zwar sehr touristisch vor, aber ausnahmslos jeder auf der Insel empfahl die Veranstaltung. Vor Ort bekam jeder zunächst das Gesicht mit einer Farbe bemalt, die aus Erde und Wasser hergestellt wurde. Dann durfte sich jeder für die Dauer des Abends noch einen Kopfschmuck ausleihen. Timo schnappte sich einen sehr schicken Blumenkranz, um den ich ihn beneidete. Zum Glück schritt ein Mitarbeiter in dürftigen Lendenschurz gekleidet ein und wies Timo darauf hin, dass dies ein weiblicher Kopfschmuck war. Und so schnappte ich ihn Timo schnell weg, während er einen männlichen Kopfschmuck zugewiesen bekam.   

Zum obligatorischen, wenn auch sicher nicht ganz traditionellem Pisco Sour gab’s dann noch ein paar Schnappschüsse mit den „Darstellern“ des Abends.

In einem überdachten Rondel wurde zu einer Zeremonie mit Gesang und Tanz dann der Erdofen geöffnet. Zwischen heißen Steinen, bedeckt mit verschiedenen Schichten Bananenblättern und schließlich Erde, garte seit einiger Zeit der sogenannte Curanto. Den hatten wir bereits als traditionelles Gericht auf Chiloé kennengelernt, dieser hier war aber etwas anders und beinhaltete vor allem Schwein, Huhn und Thunfisch. Er wird bis heute nicht nur für Touristen, sondern auch zu wichtigen Feiern wie Konfirmation oder Hochzeit zubereitet. Dabei dürfen allerdings nur Hühner mit weißen Federn verzehrt werden. Spannend bleibt die Frage, ob jeder sein Huhn selbst schlachtet oder wie man beim Metzger noch herausfinden will, welche Farbe das Tier einst hatte…

Nachdem das Essen aus der Erde gehoben und im Kreis herumgezeigt wurde, erklärte der Zeremonienmeister, dass eine große kulturelle Nähe zwischen Rapa Nui und Māori, den Ureinwohnern Neuseelands bestehe. Deswegen sei auch der Haka Teil der Rapa-Nui-Kultur. Dann lud er alle ein, den Tanz von ihm abzuschauen und gemeinsam zu tanzen. Ich glaube, Timos Begeisterung von Neuseeland und auch insbesondere vom Haka kämpfte in diesem Moment stark mit seiner ausgeprägten Scham vor anderen Menschen einen Solo-Tanz zu lernen. In jedem Fall machte es großen Spaß in der Runde wild auf und ab zu hopsen, wirklich gut konnte es ja eh nur der Vortänzer!

Lachend betraten wir das Restaurant, das nach der urigen Zeremonie seltsam modern anmutete. Wir teilten den Tisch mit einer netten Chilenin. Leider vermissten wir Kerstin, die eigentlich auch da sein wollte. Wie wir später erfuhren, traf sie die schlechte Organisation der Veranstaltung, die uns ebenfalls bereits aufgefallen war, besonders hart. Sie wartete eine Stunde vor ihrem Hotel, wurde aber nie abgeholt. Wirklich schade, dass sie das leckere Essen verpasste. Es gab ein reichhaltiges Buffet mit allerlei Beilagen, unter anderem Camote, einer Art Süßkartoffel, die für Rapa Nui sehr typisch ist. Das Highlight war dann natürlich der Curanto. Leider war der Thunfisch und das Hühnchen genauso staubtrocken, wie das Schweinefleisch großartig war!

Während des Essens begann die Tanzaufführung. Zu Livemusik stellten begabte junge Rapa Nui tänzerisch die Geschichte der Insel nach. Der Zeremonienmeister versuchte auch auf Spanisch und Englisch verbal eine Einordnung zu geben, welchen Tanz wir gerade sahen und was er darstellen sollte. Leider war das Echo im Mikrofon so stark aufgedreht, dass wir selten auch nur den Kontext verstanden. Bald gab ich auf und genoss einfach nur die Musik und die Tänzer und Tänzerinnen!

Glücklicherweise wurden wir nach dem schönen Abend wieder nach Hause gefahren und meine wunderbaren Erinnerungen wurden durch keine Kakerlake getrübt!

Nach einer kurzen Nacht machten wir uns mit einem gemieteten Auto auf, um den Sonnenaufgang in Tongariki anzuschauen. Es handelt sich scheinbar um DEN Spot für Sonnenaufgänge und die ganze Insel ist voller Werbung für kostspielige Ausflüge dorthin (ca. 50€ p.P.). Warum auch immer starten manche von ihnen bereits um 5.30 Uhr, obwohl die Sonne erst um 8.30 Uhr aufgeht. Wir haben deswegen beschlossen, unser Mietauto bereits am Vorabend abzuholen, um für die 45-Minuten-Fahrt nur das Benzingeld und nicht 100€ auszugeben und zudem nicht 3 Stunden in der Kälte auf den Sonnenaufgang warten zu müssen. Das Mietauto haben wir von einer Guide vermittelt bekommen, die Timo für einen Ausflug angefragt hatte. Sie meinte, in einem Haus gegenüber der Bibliothek gäbe es eine Dame, die ihr Auto vermieten würde. Da wir das besagte Haus nicht fanden, fragten wir in einem Laden für Angelbedarf in der Nähe nach. Die nette Dame gab uns eine Telefonnummer, die wir via WhatsApp kontaktierten. Die dort erreichte Dame wiederrum meinte, sie sei nicht der richtige Kontakt, leitete uns aber eine andere Nummer weiter, bei dir wir nun endlich richtig waren. Wir trafen uns mit Andrea am Mittwochabend, sie gab uns ihren Autoschlüssel und wünschte eine gute Fahrt. Wir konnten gerade noch fragen, was wir tanken sollten, da war sie schon wieder weg. Ohne, dass sie überhaupt mehr von uns wusste außer Timos Vornamen. Krasses Vertrauen in wildfremde Menschen! Und uns war es so auch wesentlich lieber, da es auf der Osterinsel wohl generell keine Autoversicherung gibt und viele Rezensionen im Internet darauf hinweisen, dass die offiziellen Autoverleiher oft hunderte Euro der Mietkaution einbehalten unter dem Vorwand, dass neue Kratzer am Auto entstanden sein sollen. Wir mussten jedenfalls keine Kaution hinterlegen, der Tank war voll, der Motor lief, wir waren happy!

Mit der ersten Morgenröte trafen wir in Tongariki ein und ich knipste begeistert mit Kamera und Gorillapod ausgestattet drauf los. Allerdings war der Morgen leider recht wolkig und das erwartete atemberaubende Bild wollte sich einfach nicht einstellen. Dennoch war es ein sehr wunderbarer Start in den Tag.

 

Auf dem Rückweg hielten wir noch bei Ahu Hanga Tetenga, sofern wir es denn richtig identifizierten. Wir fanden jedenfalls einen liegenden Moai, der vermutlich der größte jemals transportierte war. Gestanden hat er allerdings nie, das verraten die eckigen Augenhöhlen.              

 

Die eckigen Augenhöhlen sind links am Kopf des Moais gut zu erkennen
Die eckigen Augenhöhlen sind links am Kopf des Moais gut zu erkennen

Danach wollten wir uns noch die Brandung auf der anderen Straßenseite ansehen, die überall und immer auf der Insel spektakulär ist. Auf dem Weg zog uns ein beißender Gestank in die Nase. Wir vermuteten Dünger, bis Timo plötzlich panisch zurücksprang und mich zurück zum Auto drängte. Die Ursache war wohl ein verwesendes Pferd, dass ich Dank Timo nicht sehen musste. Aber allein der Geruch wird mir noch lange in der Nase bleiben.

 

Das Frühstück fiel an diesem Morgen dürftig aus. Obwohl wir innerhalb der Frühstückszeiten zurück waren, war Kori nirgends zu finden und so blieb das leergegraste Buffet eine Enttäuschung für uns.

 

Unsere geplante Rundtour mit dem Auto führte uns zu einem kurzen Stop in den Hafen, wo wir uns Schnorchel-Ausrüstungen liehen.

Danach ging‘s zum interessanten Museum, in dem wir uns aber zwangen, nicht jedes Panel im Detail zu lesen, da der Tagesplan noch lang war. Spannend fand Timo die alten Inschriften auf Stein und Holz, die bis heute noch niemand zu entziffern vermochte. Da wir sie nicht gleich fanden, aber bereits davon gehört hatten, half uns die Museumswärterin augenrollend, da wir ihr Candy Crush Spiel unterbrochen hatten, weiter.

Bevor es quer über die ganze Insel zurück zum schönen Anakena-Strand ging, fanden wir noch das sehr versteckte obligatorische „World Heritage“-Schild, das ich immer zusammen mit Timo fotografiere. Um es zu finden, brauchte es die gesammelte Brain-Power des Rapa-Nui-Guide-WhatsApp-Chats, die Malena netterweise für uns bemühte. Besonders wichtig scheint den Rapa Nui ihr UNESCO-Status nicht zu sein.

Am Strand wollte Timo zuerst zurück zum Ahu Nau Nau, da ihm das Licht am Dienstag angeblich nicht gut genug war. Nun wollte er mit weniger Gegenlicht noch ein paar schickere Fotos machen. Glücklicherweise waren die Touren des Tages noch nicht hier angelangt und auch das Kreuzfahrtschiff, dass hier geankert hatte, war wieder verschwunden. So hatten wir die ganze Szenerie um die Moais für uns und Timo bereitete den Gorillapod für ein paar Fotos mit Selbstauslöser vor.

Ich wartete geduldig, wo Timo mich posiert hatte. Nicht ganz zufrieden, da ich nicht meine Schokoladenseite zeigen durfte, aber Timo war etwas angespannt und nicht mehr offen für eine solche Diskussion, weswegen ich nachgab. Doch als er zu mir aufs Bild kam, leuchtete der Selbstauslöser nicht. Während ich noch protestierte, dass Timo nicht richtig gedrückt habe, beschwichtigte er mich und erklärte, dass er statt eines Fotos ein Video eingestellt hätte und alles seine Richtigkeit habe.

 

Dann ging er filmreif auf die Knie und machte mir den schönsten aller Heiratsanträge, am schönsten aller Orte und an diesem perfekten Tag, unserem 100. Monatstag.     

 

Sehr gerührt, aber tatsächlich nicht überrascht, zog ich ein kleines Zettelchen hervor, auf dem „Ja, ich will“ stand. Das wiederum überraschte Timo nun extrem und leider enttäuschte es ihn auch sehr. Er hatte geglaubt, mir eine unfassbare Überraschung zu bereiten. Er hatte überhaupt nicht geahnt, wie sehr er sich verraten hatte und wie sicher ich war, dass es an diesem Tag zu dem Antrag kommen würde. Aber nach all der Zeit kannte ich ihn einfach zu gut und hatte die vielen kleinen Anzeichen und die große Nervosität bereits vor Abflug richtig gedeutet.

Nachdem die erste Verwunderung verflogen war und ich auch mündlich noch einmal bestätigt hatte, dass ich will, steckte Timo mir einen wunderschönen, glitzernden Ring an. Er hatte ihn bereits in Pucón besorgt und in Santiago gravieren lassen. In feinen Lettern steht darin „100 Monate – 30.03.23 – Rapa Nui – Franzi & Timo“.

Auch wenn wir letztendlich beide wussten, dass wir uns an diesem Tag verloben würden, konnte doch keiner von uns sich darauf vorbereiten, wie emotional dieser Moment war.              

Mit zittrigen Fingern zog Timo noch ein weiteres Kästchen hervor. Da ich Ringe nicht sonderlich mag, bekam ich dazu noch eine Silberkette, sodass ich ihn um den Hals tragen konnte. Für heute allerdings blieb der Ring am Finger, da ich ihn natürlich stolz überall präsentieren musste!

Die erste Passantin, die nach dem Antrag vorbeikam, erhielt wohl unwissend die Ehre, den Moment doch noch fotografisch festzuhalten. Sonderlich engagiert war sie nicht, aber sie drückte zweimal ab. Das musste wohl für den Moment genügen.

Auf der einen Seite hatte ich mir immer einen Heiratsantrag in privater Zweisamkeit gewünscht. Ich finde, dass dies ein intimier Moment ist, in dem man keine Zuschauer braucht. Auf der anderen Seite meinten wir beide, dass es bestimmt auch sehr denkwürdig gewesen wäre, wenn wie vor ein paar Tagen viele Touristen zugegen gewesen wären und all diese Fremden in begeisterten Beifall ausgebrochen wären. Aber wer weiß, vielleicht gibt es solche Szenen auch nur im Film und alle hätten pikiert weggeschaut. Also war so schon alles perfekt, nur wir und die Moais.

Noch ganz emotional gingen wir in die Strandbar und bestellten zwei riesige Meeresfrüchte-Empanadas und einen Mangosaft zum Teilen. Während wir auf unser Essen warteten, hüpfte ich zur Toilette. Dass mich alle irritiert anstarrten, war mir völlig egal. Ich musste einfach ein bisschen hüpfen. Und Timo strahlte mich an, als ich zurückgehüpft kam, das war das Wichtige.

 

Eigentlich wussten wir auch schon lange, dass dieser Tag irgendwann kommen würde. Schließlich hatten wir uns 2018 auf Santorini geküsst und man sagt, wer sich dort küsse, bliebe für immer zusammen. 

 

Beim Versuch, den Ring möglichst instatauglich mit dem exotischen Getränk und den Palmen in Szene zu setzen, versenkte ich ihn direkt im Saft. Dabei haben wir nicht mal Instagram. Zumindest klebte er danach jedenfalls besser am Finger.

Noch am Strand trafen wir zufällig Bruno und Kerstin, denen wir glücklich von der Verlobung berichteten. Danach ging’s zur Abkühlung endlich in den Pazifik. Timo haderte leider wegen seines Bartes wieder sehr mit der Schnorchel-Ausrüstung, aber es gelang ihm zumindest immer wieder kurze Blicke unter Wasser zu werfen. Nach ein paar Minuten winkte er mich traurig zu sich ran. Er hatte sein völlig ausgeleiertes und nutzloses Haargummi verloren, das diesen Namen gar nicht mehr verdient und nur Gott weiß, warum er es nicht längst entsorgt hat. Er bat mich, es wiederzufinden. Im Pazifik. Zwischen den Wellen. Obwohl er gar nicht genau wusste, wo in der Bucht es verloren ging. Ich seufzte über meinen frisch Verlobten und fühlte mich gleichzeitig auch etwas geschmeichelt, dass er glaubte, ich könne alles möglich machen. Und da ich ihm natürlich – zumindest heute – nichts abschlagen konnte, begann ich die aussichtslose Suche. Doch tatsächlich, nach nur wenigen Minuten, entdeckte ich das schwarze Ding am Meeresboden! An diesem Tag war einfach alles perfekt!

 

Kurz darauf winkte uns ein Mann aufgeregt zu sich rüber. Er hatte eine große Wasserschildkröte entdeckte! Wir eilten zu ihm hinüber. Timo hatte leider wieder mit der Taucherbrille zu kämpfen, aber ich schwamm rund eine Minute mit dem ca. 50cm großen Tier herum, bis es sich Felsen näherte, die ich beim aktuellen Wellengang nicht gut einschätzen konnte und vorsichtshalber abdrehte.

 

Auf dem Parkplatz trafen wir noch einen weiteren Bekannten – Rapa Nui ist wirklich ein Dorf – und freuten uns über die weitere Gelegenheit, mein neues Glitzer-Accessoire zu präsentieren.    

Nach einem kleinen Fotostopp in Ovahe, einem anderen, kleineren Strand, an dem wir keine Zeit mehr zum Schwimmen hatten, kehrten wir für eine schnelle Dusche ins Hostel zurück.

 

Im Restaurant angekommen mussten wir leider feststellen, dass unser schöner bereits Tisch vergeben war. Der Kellner wies uns den letzten freien Tisch im Innenbereich zu. Während Timo sich wie so oft zwar ärgerte, aber keine Lust auf eine unangenehme Diskussion hatte, führte ich meinen Lieblingsmove des Tages vor, wackelte mit meinem Ringfinger und erwähnte, wie wichtig uns dieses Abendessen sei. Der Kellner war so überrascht, dass er nicht mal gratulierte, aber wenigstens sehr viel offener dafür war, uns unseren reservierten Tisch zu besorgen. Insgesamt fand ich auch die Ausrede, er hätte uns bei der Tischvergabe mit dem rund 40 Jahre älteren Pärchen verwechselt, sehr schwach. Aber Alter scheint hier auf der Insel auch nur Schall und Rauch zu sein. Erst gestern hielt mich jemand für Timos Tochter. Nicht zum ersten Mal übrigens, auch in Deutschland erlag ein Mitarbeiter des Serengeti-Parks diesem Irrtum. Zudem erhielt Timos jüngere Schwester die zweifelhafte Ehre, für meine Mutter und somit die Frau ihres Bruders gehalten zu werden.

 

Nach etwa zehn Minuten Wartezeit war das irritiert dreinschauende Pärchen auf den Innenplatz verfrachtet und der Tisch für uns neu eingedeckt worden. Um die peinliche Szene etwas zu entschärfen, bedankten wir uns noch einmal herzlich bei den beiden für ihr Verständnis.

Von unserem Tisch hatten wir einen großartigen Blick auf einen Moai und einen wunderbaren, wenn auch erneut  wolkenverhangenen, Sonnenuntergang. Unsere Getränke ließen ewig auf sich warten, sodass ich nach einer guten Stunde zum Auto ging, um aus der mitgebrachten Wasserflasche zu trinken. Ich wunderte mich sehr, dass sie es trotz des heißen Wetters nicht schafften, uns irgendetwas zu Trinken zu bringen. Auch ich habe früher in einem Restaurant gejobbt. Wenn dort jemand seine Verlobung gefeiert hätte, wir die Reservierung verdaddelt hätten und ich die bestellten Getränke nicht kurzfristig hätte bringen können, hätte ich längst einen Sekt aufs Haus spendiert. Aber nein, nichts dergleichen. Nachdem wir eine weitere Stunde vor unseren Getränken gesessen hatten und von Essen immer noch weit und breit keine Spur war, wurde Timo langsam sehr unglücklich. 

Ich hatte eigentlich gar keine Lust mich zu ärgern. Ich wollte einfach nur in Zweisamkeit den Abend genießen. Aber Timo hatte schon seit Stunden großen Hunger, es war fast 22 Uhr, wir waren müde, die Sonne war längst weg. So meinte Timo, er würde nur noch 10 Minuten warten, bevor er gehen würde. Mir war es gleich. Ich hätte gut was essen können, musste aber nicht. Es tat mir aber für den hungrigen Timo sehr leid.

Glücklicherweise kam 5 Minuten später die großartige Vorspeise! Es gab, soweit ich mich erinnere, Ceviche auf Rapa Nui Art, etwas frittierte Meeresfrüchte, Sashimi und Süßkartoffelchips. Während wir gerade die letzten Bissen genossen, kam auch schon direkt der Hauptgang. 

Ich glaube, wir hatten beide kurzgebratenes Thunfischsteak mit Camotepüree und Mango-Chutney gewählt. Es war auf jeden Fall richtig, richtig lecker! Während wir vor all dem Essen saßen, kamen dann unerwartet auch doch noch Glückwünsche des Hauses, begleitet von einem Pisco Sour, der sich zu meinem Piña Colada gesellte. 

Sehr aufmerksam war, dass Timo alkoholfrei bestellt hatte und er zu seinem ersten nun einen zweiten, anderen exotischen Saft bekam.

Dann machten sie sogar noch ein paar Fotos von uns.

 

Wirklich merkwürdig. Erst wurden wir rund zwei Stunden fast gar nicht beachtet und plötzlich waren alle super aufmerksam und zuvorkommend. So wurde aus dem zunächst sehr unterdurchschnittlichen Erlebnis doch noch ein großartiger Abend, zu dessen Krönung es sogar noch ein gratis Dessert gab.

Kugelrund rollten wir im Auto wieder nach Hause. Der beste Verlobte aller Zeiten versuchte unterwegs sogar noch scherzhaft so viele Kakerlaken wie nur möglich zu überfahren.

Im Hostel lief eine kleine Abschiedsparty. Fast alle würden am nächsten Tag mit uns nach Hause fliegen und genossen ein letztes Beisammensein in unserer kleinen Hostel-Familie, in der von Beginn an eine richtig gute und vertraute Stimmung herrschte. 

Natürlich hatten wir allen bereits im Vorwege von unserem großen Jubiläum berichtet und alle waren gespannt zu hören, wie unser Tag in Zweisamkeit gelaufen war.

Timo grinste nur und ich hob stolz meine linke Hand. So kamen wir letztlich doch noch zu unserem Film-Moment, in dem alle in begeisterten Applaus ausbrauchen. Wir bekamen Drinks ausgegeben und alle gratulierten uns und fragten nach Details. Nur Walter, ein Senior aus Kanada, der ebenfalls in unserem Dorm-Room schlief, spielte etwas Entsetzen vor. Er hatte bereits am Morgen gefragt, ob er sich für die Nacht unseres Jubiläums lieber eine andere Bleibe suchen solle. Nun wuchsen seine „Ängste“, was wir wohl in der Verlobungsnacht anstellen könnten, noch weiter.            
Kori konnte ihn kurz darauf beruhigen, indem er uns herzlich gratulierte und für die letzte Nacht ein Privatzimmer mit Doppelbett und eigenem Badezimmer spendierte.

 

Wir feierten noch ein Stündchen, bis wir todmüde und unendlich glücklich ins Bett fielen.

 

Am nächsten Morgen klingelte um 6 der Wecker. Die Wettervorhersage hatte einen wolkenlosen, perfekten Sonnenaufgang angekündigt, weswegen wir den Weg nach Tongariki noch einmal auf uns nehmen wollten. Wir öffneten beide ein halbes Auge. Timo schielte auf sein Handy und meinte, vor der Sonne sei nun ein kleines Wölkchen auf dem Wetter-Icon erschienen. Dankbar für diese Ausrede, beschlossen wir, den Wecker auszuschalten und unser Verlobungsglück im Doppelbett noch weiter zu genießen.

Den Vormittag verbrachten wir mit frühstücken, packen, Postkartenschreiben und dem Zurückbringen der Schnorchel-Ausrüstung. Leider schafften wir es nicht mehr, mit den Schildkröten im Hafen zu schwimmen, aber wir entdeckten wenigstens noch ein paar beim Vorbeispazieren. Leider mussten wir auch zusehen, wie verantwortungslose Badende die großen Tiere trotz Warnhinweisen inkl. Bußgeldandrohungen, sie in Ruhe zu lassen und keinesfalls anzufassen, an ihrem Panzer packten und für ein paar Selfies in die Kamera hielten. Die Polizei ein paar Meter weiter, bemerkte offenbar nichts. Wirklich schade, wie respektlos manche Menschen sind. Da wünscht man sich fast, die Schildkröten würden doch mal zubeißen…

Am Flughafen trafen wir Andrea wieder. Auch ihre Tochter flog heute nach Santiago. Wie auch fast das ganze Hostel, Kerstin und Malena. Gefühlt jeder verließ heute die Insel.    
Da wir das Auto nun statt der ursprünglich ausgemachten 24 Std. über 40 Std. geliehen hatten, gaben wir ihr 150% des ausgemachten Preises. Obwohl nichts besprochen war, hatten wir natürlich auch wieder vollgetankt. Sie nahm das Geld kommentarlos entgegen. Bedankte oder beschwerte sich nicht. Sie fragte nur, ob alles gut gelaufen sei. Das bejahten wir. Sie kontrollierte nicht, ob ihre Papiere noch da waren, es neue Kratzer gab oder wo die Tanknadel gerade hing. Wirklich krass unkompliziert.

 

Wir gaben die Backpacks ab und erhielten im Austausch die Boardingpässe. Darauf stand, dass wir in maximal 10 Minuten in der Boardinghalle sein müssten, damit uns der Transport garantiert sei. Da wir lange auf Andrea gewartet hatten, war alles schon etwas knapp geworden. Als wir uns beim Security-Check anstellten, dröhnte eine wie üblich unverständliche Durchsage durch die Flughafenhalle. Ich hatte „Timo“ verstanden, aber das konnte ja nicht sein. Erneut schallte die Durchsage durch die Lautsprecher.

 

„Ich glaub, die meinen mich.“, meinte nun auch Timo, parallel zur dritten Wiederholung. So gingen wir zurück zum Gepäckschalter und ein Mitarbeiter nahm Timo mit in den Personalbereich. Ich konnte es nicht fassen. Mit Timos Gepäck ist immer irgendetwas… Ständig Sprengstofftests, sogar mal ein positiver, und wer weiß, was sie jetzt wieder gefunden hatten. Nervös fragte ich mich, wie lange ich wohl auf ihn warten sollte. Doch bereits nach 10 Minuten, die mir endlos schienen, kam er wieder zurück. Sie hatten sich wohl an den Shampoo- und Spülungsflaschen in Timos Gepäck gestört, sowie am Mückenspray. Nachdem sie alles ausführlich begutachtet hatten, durfte Timo wieder einräumen.

 

Nun aber schnell, wir waren fast die letzten im Security-Check. Unsere Rücksäcke fuhren übers Fließband, dann unser Beutel, in dem wir wegen der strengen Einfuhrregeln immer alles Essbare gebündelt transportieren. Die Mitarbeiterin schaute kritisch und bat mich, den Beutel noch einmal durchfahren zu lassen. Natürlich kam ich der Bitte nach.

 

„Haben Sie ein Messer dabei?“

 

Mein Gesicht verrutschte und ich fluchte innerlich. In dem Beutel befand sich auch unsere Kochkiste mit allen Kräutern und Gewürzen, Göffeln und unserem Klappmesser. Das eine der beiden sehr guten und leider nicht ganz billigen Messern hatten wir bereits auf Chiloé im Airbnb vergessen. Und nun das. Ich zeigte ihr das Messer, sie klappte es auf, sah die zackige Klinge und schüttelte den Kopf. Ich entschuldigte mich wortreich und versuchte zu erklären, wie es dazu kam, dass sich das Messer nicht im Aufgabegepäck befand. Ihr skeptischer Blick entdeckte, dass das Messer vorne rund und nicht spitz war. Man konnte also schwerlich jemanden damit abstechen. Gedacht haben wir es wohl beide, ausgesprochen hat es natürlich niemand. Den Fehler hatte ich bereits vor 15 Jahren gemacht, als ich eine Federtasche mit Schere im Handgepäck hatte. Kaum ausgesprochen, dass „ich schon niemanden damit abstechen“ würde, war die Schere schon weg.             

Schlauer als damals versuchte ich einfach möglichst unschuldig dreinzublicken und tatsächlich! Die Dame zwinkerte mir einmal mit beiden Augen zu und drückte mir das Messer wieder in die Hand!

 

Erleichtert gingen wir endlich zum Flugzeug. Das Boarding lief bereits. Unterwegs entdeckten wir noch ein paar bekannte Gesichter, hatten aber keine Zeit mehr, lang zu schnacken.

Der Abschied naht - Iorana heißt gleichermaßen "Willkommen" wie auch "Auf Wiedersehen"
Der Abschied naht - Iorana heißt gleichermaßen "Willkommen" wie auch "Auf Wiedersehen"

Auf dem Rückweg durfte nun Timo am Fenster sitzen. Er hatte mehr Glück als Sebastian, den wir aus dem Hostel kannten und der den Platz direkt vor Timo hatte. Er saß dementsprechend ebenfalls am Fenster. Zumindest theoretisch. Warum auch immer fehlte in seiner Reihe das Fenster. Auch er hatte nicht gewusst, dass man auf Rapa Nui für alles einen Guide brauchte und war während des ganzen Aufenthalts etwas angefressen gewesen. Nun meinte er zynisch, dass sich das ja perfekt einreihen würde und ein würdiger Abschluss seines Urlaubs sei. Wir sagten entsprechend nichts, als er sich während des Abflugs unerlaubt mit dem Sitz nach hinten lehnte und recht invasiv versuchte, etwas von Timos Ausblick abzubekommen.

Ganz im glücklichen Pärchen-Modus schauten wir ausnahmsweise denselben Film simultan und genossen die entspannte Rückreise. Timo hatte Avatar tatsächlich noch nie gesehen und ich nur einmal, als er 2009 oder 2010 im Kino war.

 

Spät abends kamen wir in Santiago an. Es fühlte sich für uns wegen der zwei Stunden Zeitverschiebung wesentlich später an. Damit die Sonne in etwa zur selben Uhrzeit aufgeht, müssten es tatsächlich eigentlich drei sein. Malena meinte, dass es dennoch nur zwei seien, damit die Behörden besser zusammenarbeiten könnten. Verrückt…

Für die Nacht hatten wir das billigste Hostel ganz Santiagos gebucht. Für nur 5,80€ pro Person durften wir in einem 6er Dorm mit dreistöckigen Betten nächtigen. Die Laken waren keinesfalls frisch und so fleckig, dass ich das Kissen nicht zu nutzen wagte und beim Einschlafen still hoffte, am nächsten Morgen keinen Ausschlag zu bekommen. Aber nach dem teuren Urlaub war Sparen angesagt und wir brauchten ja auch nur einen Schlafplatz für eine Nacht. Zum Glück konnten wir auch aufs Duschen in dem völlig versifften Bad mit zerschlagener Duschwand verzichten.

 

Am nächsten Morgen ging es früh mit dem Bus weiter nach Valparaíso. 

Es war der 1. April und abgesehen davon, dass wir vorher eh keine Zeit hatten, irgendjemandem von der Verlobung zu berichten, fand ich es gleichzeitig sehr witzig, ausgerechnet am 1. April die ganze Familie anzurufen und zu schauen, wer es für einen Scherz hielt. Und falls ihr euch nun beim Lesen dieselbe Frage stellt: Nein, es ist tatsächlich kein Scherz, wir sind wirklich verlobt 🥰

 

Und um noch einmal auf die Eingangsfrage zurückzukommen, was meint ihr? Wie oft sprechen wir wohl davon, wie viel uns diese unvergesslichen Tage gekostet haben und wie oft von unserer wundervollen Verlobung?

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Kommentare: 1
  • #1

    Dome (Sonntag, 07 Mai 2023 16:36)

    Sehr schöner (und sehr langer) Artikel ;)
    Mit den Bananen habe ich es bisher überall anders gelernt, da man durch umwerfen die Vermehrung verhindert. Einfach knapp übern Boden "abschneiden" - dann sprießt eine neue Pflanze aus der alten (so kauft man auch die Pflanze). Des Weiteren produziert sie Ableger (ähnlich wie eine Aloe Vera)