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"Eine Fanta und eine Stange Dynamit, bitte!"

Potosí

geschrieben von Franzi

Vor einigen Jahren hatten wir das erste Mal von den Minen in Potosí gehört. Gemütlich vom Sofa aus zum ausgiebigen Wochenendfrühstück gönnten wir uns eine unterhaltsame Folge von "Duell um die Welt". Besonders in Erinnerung blieb uns Klaas, der irgendwo in Bolivien in einer unsicheren Mine eine Stange Dynamit in die Luft jagen sollte. An einem Kiosk orderte der Guide, was sie für die Challenge benötigten. Fassungslos wiederholte Klaas für die Kamera die Bestellung: "'Eine Fanta und eine Stange Dynamit, bitte!' Hat er das gerade wirklich gesagt?!"

Lange Zeit amüsierten wir uns darüber, der Running Gag wurde einfach nicht alt. Nie hätte ich zu dem Zeitpunkt geahnt, dass ich die Mine eines Tages selbst betreten würde, noch wie fatal und gar nicht lustig die Arbeitsbedingungen vor Ort tatsächlich sind. Tatsachen, die ProSieben natürlich aussparte, schließlich soll die Sendung unterhalten und nicht bilden oder nachdenklich stimmen.

 

Gemeinsam informierten wir uns bei verschiedenen Anbietern, über die diversen möglichen Touren. Wir hatten vorab gelesen, dass nicht alle Organisatoren Wert auf Sicherheit legten und man sich nicht für die günstigste entscheiden solle, sondern für die, bei der man das beste Gefühl habe.

Im ersten Büro ließ sich ein Mitarbeiter gar nicht erst dazu herab, uns die Touren zu erklären. Ein laminierter Zettel in unterschiedlichen Sprachen sollte diesen Job übernehmen. Ganz unten prangte der fettgeruckte Hinweis, dass die Touren nichts für "Weicheier und Angsthasen" seien. Das fand ich schonmal extrem unsympathisch.

 

In der Tat sollten Klaustrophobiker vor einem Besuch eher gewarnt werden. Ob man sich für oder gegen einen Besuch der Mine entscheidet, hat für mich aber rein gar nichts damit zu tun, ob man ein "Weichei und Angsthase" oder "harter Kerl" ist.

Wir hatten mit anderen Reisenden und Einheimischen gesprochen und auch Erfahrungsberichte im Internet gelesen. Tatsächlich kann man während der Tour das reinste Elend erleben. Die Minenarbeiter, darunter Kinder, arbeiten stundenlang unter Tage ohne die Möglichkeit, etwas zu Essen oder zu Trinken zu bekommen. Die Angaben - und vielleicht auch die Realität - variierten zwischen 6-12 Stunden Arbeit am Stück. Man kann fast nichts mit hinunternehmen, auch keine Nahrung oder Getränke, weswegen die Arbeiter stattdessen ohne Unterlass Kokablätter kauen. Angeblich soll man so den Hunger vergessen. Ich meine, irgendwo gelesen zu haben, dass dies in einer Studie zwar nicht nachgewiesen werden konnte, aber auch, dass die Studienlage zu Kokablättern insgesamt recht dürftig sei. Letztendlich zählt eigentlich auch nur, dass es den Arbeitern unterm Strich durch den Tag hilft.

Abgesehen von der schwersten körperlichen Arbeit, die sie dort an 5-6 Tagen in der Woche verrichten, sind sie höchsten gesundheitlichen Risiken ausgesetzt, denen man sich als Besucher natürlich ebenso aussetzt. Wie bei vielen Dingen spielt natürlich auch hier die Dauer der Belastung eine erhebliche Rolle. Doch als ich gelesen habe, dass im Zweifel eine einzelne Asbest-Faser genügt, um Krebs auszulösen, fand ich das nicht wirklich beruhigend. Grundsätzlich bleibt es aber sehr unwahrscheinlich bei einem verhältnismäßig kurzem Besuch ernsthaften Schaden zu erleiden.

Dennoch ist es meiner Meinung nach auf jeden Fall eine sehr persönliche Entscheidung, ob man eine solche - aktive! - Mine besichtigen möchte oder nicht und es ist absolut fehl am Platz, falschen Ehrgeiz zu wecken, ob man "hart" genug für die Tour ist oder nicht. 

Rund 50% aller Reisenden, mit denen wir sprachen, entschieden sich für die Tour und entsprechend die andere Hälfte dagegen. So war es auch bei uns und erstmals auf der Reise meldete ich mich für eine Tour alleine ohne Timo an.

Der unsympathische Herr schoss sich und seine Agentur vollends ins Aus, als ich nach der Sicherheit fragte. Er meinte, es würden nie Unfälle passieren. Da ich ungläubig nachhakte, nannte er mir andere Orte, die ich besuchen könnte, wenn ich gerne tödliche Unfälle erleben würde. Ich fand es absolut anmaßend, dass er mir unterstellte, dass mich so etwas als Abenteuertourismus begeistern könnte. Gleichzeitig fragte ich mich, ob seine Antwort zumindest zum Teil die Sensationsgeilheit eines Teiles der Minenbesucher widerspiegelt.

 

In einem anderen Büro vermittelte mir eine nette junge Dame ein wesentlich angenehmeres Gefühl. Auch ihre Auskunft, dass es unter den Kumpeln rund vier Mal im Monat Zwischenfälle geben würde, Unfälle mit Touristen aber äußerst selten seien und sie dies noch nicht erlebt habe, kam mir deutlich realistischer vor. 

 

Nach ein paar Tagen Bedenkzeit buchte ich bei ihr eine Tour auf Englisch. Das kostete zwar etwas mehr, aber ich wollte gerne alles sehr gut verstehen können.

 

Morgens früh machte ich mich durch das kalte Potosí auf den Weg in ihr Office. Bereits fünf Minuten vor der vereinbarten Zeit, rief mich die Dame an und fragte, wo ich bliebe. Mit schlechtem Gewissen gab ich zu, fünf Minuten zu spät dran zu sein.

Als ich ankam verpuffte es aber direkt. Ich war keineswegs die letzte und alle warteten auf mich, bereit zur Abfahrt. Im Gegenteil: Ich war die erste. Nicht einmal der Guide war da.

Nach der Bezahlung ging es zu einem Van, wo ich auf zwei Franzosen traf, die ebenfalls an der Tour teilnahmen. Sie hatten bei einem anderen Anbieter gebucht und nun wurden wir eh alle zusammengewürfelt. Gut, dass ich so sorgsam ausgewählt hatte... Anders als ich waren sie wohl auf Schnäppchenjagd und hatten sich einfach für das billigste Angebot entschieden und in der Tat ein gutes Stück weniger gezahlt als ich.

Dafür war ich offenbar wesentlich informierter und habe offenbar auch ausgesucht, wie die Tour laufen würde. Die beiden wussten nur, dass sie "eine Minentour" gebucht hatten. Ich dagegen hatte mir den englischsprachigen Guide ausgewählt, sowie eine Mine, die so hoch ist, dass man in der Regel leicht darin stehen kann. Ich dachte mir, dass die Tour mental schon anstrengend genug sein würde und wollte mich nicht zusätzlich selbst geißeln und eine Tour buchen, bei der ich Minutenlang auf dem Boden robben muss. Ich habe ausnahmslos nur gehört, dass das furchtbar sein soll.

Die anderen beiden schienen sich dieser Unterschiede nicht bewusst zu sein und waren am Ende sogar etwas enttäuscht, dass es gar nicht so richtig eng war.

Überraschend war für mich, dass der Guide, Iblin, eine Frau war. Die Guides sind alles ehemalige Minenarbeiter und ich war bisher davon ausgegangen, dass in der Mine nur Männer arbeiten. Sie erzählte, dass sie selbst zum Glück nur zwei Jahre in der Mine arbeiten musste. Sie sortierte auf dem Vorplatz, was die Männer herausbrachten. Während der Pandemie musste sie wohl noch öfter wieder dort mit anpacken, da sie den Einbruch des Tourismus finanziell nicht anders kompensieren konnte.

Einer der beiden Franzosen fragte sie, ob ihre Verwandten in der Mine arbeiten würden. "Nicht mehr...", lautete ihre leise Antwort, woraufhin alle taktvoll von weiteren Fragen absahen.

 

Unser erster Stopp war der sogenannten "Miner's Market". Hier kauften die Minenarbeiter alles, was sie für den Tag in der Mine brauchten. Wobei ich mich schon etwas wunderte. Ich dachte, man könne nichts mit hinunternehmen?

Es war übliche Tradition, dass die Besucher etwas für die Minenarbeiter mit hinunter brachten. Iblin erklärte uns, was sie am dringendsten brauchten:

  • Koka-Blätter (inkl. "Katalysator", ein kreideartiger Brocken, der wohl dafür sorgt, dass die Koka-Blätter besser aneinander haften oder ihre Wirkung besser oder schneller entfaltet. So ganz habe ich das recht schlechte und nuschelige Englisch von Iblin, die sich während der Erklärung fortwährend die (unbezahlte!) Ware in den Mund schaufelte, leider nicht verstanden.)
  • Ein orangenes Getränk, das scheinbar irgendwo zwischen Saft und Fanta zu verordnen ist und das wohl jedem Minenarbeiter vorzüglich schmeckt. Wasser scheint kein Thema zu sein.
  • Hochprozentiger (quasi reiner) Alkohol, in äußerst unansprechend aussehenden kleinen Plastikfläschchen, die an Chemieunterricht erinnern
  • Dynamit inkl. Lunte

Da der Nutzen des Alkohols zu diesem Zeitpunkt noch nicht erklärt wurde und ich die Kombination mit Dynamit sehr bedenklich fand, wollte ich davon lieber nichts kaufen. Ebenso bedenklich fand ich das Dynamit, da ich keine Ahnung habe, wie stabil es ist. Schon krass, dass man es einfach für 30 BOB (~4€) pro Stange am Straßenrand kaufen konnte. Einer der Franzosen meinte später, dass man es wohl kaum außerhalb des Rahmens der Tour kaufen könne. Aber ich bin vom Gegenteil überzeugt.

Der andere Franzose fand es scheinbar auch cool und schlug zu. Er versicherte mir, es könne nicht versehentlich explodieren, da die Lunte separat in der Tüte lag und noch nicht eingesteckt war. Ehrlicherweise hätte ich auch gerne "Eine Fanta und eine Stange Dynamit, bitte!" bestellt. Aber der Gag war mir das Risiko nicht wert.

So entschied ich mich am Ende für zwei Kombipackungen bestehend aus Kokablättern und dem orangenen Getränk.

 

Als nächstes ging es in eine sehr schäbige Lagerhalle in einem Hinterhof. Übel riechende Rinnsale überquerend bahnten wir uns den Weg dorthin. Im Inneren gab es jede Menge superdreckiger Ausrüstung. Jeder bekam eine Hose und eine Jacke zum Überziehen. Die Schuhe wurden gegen Gummistiefel getauscht. Ich musste drei Schuhe anprobieren, da mir alle zu groß waren. Als ich bei den Kinderschuhen ankam, zog ich es doch vor, eine Nummer größer zu nehmen. Nicht zuletzt, da der Schaft bei den Erwachsenenmodellen wesentlich höher war und mir die bunte Farbe der Kinderstiefel zudem doch sehr peinlich war, da sie jeden sofort darauf aufmerksam gemacht hätte.

Zu guter Letzt gab es noch für jeden einen Helm inkl. Stirnlampe.

 

So ausgestattet ging es hoch zur Mine und viel plötzlicher als erwartet standen wir vor dem Eingang. Einer der Franzosen fotografierte ungeniert jeden, den er vor die Linse bekam im Porträt. Ich drückte auch ein paar Mal ab, fragte aber höflicherweise jedes Mal vorher nach, ob das auch in Ordnung sei.

Iblin bezahlte unseren Eintritt, der die Arbeiter unterstützen soll, und schon standen wir vor dem Eingang der Mine. Salvadora heißt der Zugang, durch den wir eintreten würden.

Wir stapften über die Gleise. Ich achtete genau auf den Boden, um nirgends hängen zu bleiben und auf dem teils schlammigen Grund nicht auszurutschen. Manchmal mussten wir sogar durch größere Pfützen waten. Die Gummistiefel waren hier wirklich ein absolutes Muss. Während ich mich konzentriert vorarbeitete krachte mein Kopf plötzlich gegen einen tiefen Stützbalken. Zum Glück hatte ich den Helm auf, dennoch tat es mehr weh, als ich der Gruppe gegenüber zugeben mochte. Tatsächlich sollte ich aber nicht die Einzige aus der Gruppe bleiben, die sich gehörig den Kopf stieß. Früher oder später traf es alle.
Ich war es aber auch einfach nicht gewohnt, auf den Kopf zu achten. Normalerweise bin ich immer winzig genug, um überall aufrecht durchgehen zu können, selbst wenn Guides darauf hinweisen, dass man sich den Kopf stoßen könnte. Unser Blog heißt ja nicht umsonst Zwergenexpedition 😉

Von nun an achtete ich gleichzeitig auf oben und unten, links und rechts und versuchte gleichzeitig ab und zu ein Foto zu schießen. Das Vorankommen war so wirklich anspruchsvoll genug, auch ohne dass ich mich in klaustrophobisch enge Gänge quälen musste.

 

Irgendwann kamen wir dann aber doch in einen engeren Gang, der an einer Art Statue endete. Wir setzten uns auf kleine Felsvorsprünge, stehen konnte man hier nicht mehr. Iblin erklärte, dass dies "Tio" sei. Eine Art Minengott. Angeblich stammt der Name aus dem Beginn der Kolonialzeit, als die Spanier ihre Sprache einführten. Die Menschen konnten wohl das spanische Wort "Dios" (dt.: Gott) nicht richtig aussprechen und so wurde daraus "Tio", was eigentlich "Onkel" bedeutet. Dann kam die Zeit der Missionierung, in der es sowieso besser war, keinen Gott als den des christlichen Glaubens zu haben. Und schließlich ist es heute einfach der etablierte Name der Statue, ohne dass scheinbar mal jemand erwägt hatte, ihn nachträglich in "Dios" umzubenennen. Es ist halt einfach "Tio".

 

Man betet zu Tio, um um reiche Erträge und Erfolge zu bitten. Sowohl in der Mine, in der man um Sicherheit ebenso bittet, wie darum, möglichst gewinnversprechende Mineralien oder Silber fördern zu können, als auch zu Hause, wo Tio für besonders viel Fruchtbarkeit und somit für viele Kinder sorgen kann.

Als Ehrerbietung bringt man Opfergaben dar. Das sind vor allem Kokablätter, die zu Hauf um ihn herumliegen. Zudem wird Tio etwas vom höchstprozentigen Alkohol abgegeben. Den umherliegenden leeren Flaschen nach zu urteilen, trinkt wohl so mancher Bittsteller den Rest selbst und lässt den Müll dann an Ort und Stelle fallen. Ggf. gilt aber auch die leere Flasche noch als Gabe. Des Weiteren schmückten jede Menge Luftschlangen Tios Haupt, sodass es aussah wie langes, buntes Haar.

Und zu guter Letzt spendiert man ihm Zigaretten. Es lagen (leere?) Packungen herum, ebenso wie angerauchte oder unangetastete Zigaretten.
Zu Tios Füßen lugt ein steinerner Kopf hervor, der quasi auf dem Boden liegt mit Blick gegen die Tunneldecke.
Angeblich soll die Figur des Tio von den Minenarbeitern gefunden worden sein. Es war ein Zeichen, dass man dort nicht weitergraben durfte und ab sofort eine ehrerbietende Figur. An dieser Legende lassen mich allerdings zwei Dinge zweifeln. Einerseits wurde der neue Tio geschaffen, als der alte, von dem nur noch der Kopf aus dem Boden lugt, wohl zu alt, kaputt, unschön oder ähnliches wurde. Eine Gottheit kann man ja eigentlich kaum mir nichts dir nichts austauschen. Und zweitens gibt es wohl in der Nähe jeden Eingangs eine solche Statue. Welche Teile also wirklich wahr sind, welche für Touristen hinzugedichtet worden sind und inwiefern die Legende auch einfach von den Arbeitern im Laufe der Generationen immer weiter gewoben wurde, vermag ich nicht zu sagen.

Auch unsere Guide streute ein paar der von uns gekauften Kokablätter über Tio, gab ihm ein paar Tropfen Alkohol zu trinken, genehmigte sich selbst einen ordentlichen Schluck und bot auch uns etwas an. Nur einer der Franzosen traute sich, an dem ätzend riechenden Getränk zu nippen. Schlussendlich folgte ein für mich kaum zu ertragendes Ritual. Sie zündete ein paar Zigaretten an und steckte sowohl dem alten, als auch dem neuen Tio mehrere in den steinernen Mund. Ich bin ja schon unter normalen Umständen kein großer Fan von Zigaretten, um es vorsichtig auszudrücken. Aber in dem engen Tunnel, hunderte Meter von Frischluft entfernt rund 15 oder 20 Minuten wenige Zentimeter neben rauchenden Statuen zu sitzen hat, hat mir echt fast den Atem geraubt - und nicht im positiven Sinn. Es stank bestialisch und dadurch, dass die Tios nicht wirklich an ihren Kippen zogen, brannten sie zu allem Überfluss extrem langsam ab.

Leider wählte Iblin genau diesen Moment, um die eigentlich interessante Geschichte der Minen zu erzählen. Da man sie aber schon normalerweise nicht so gut verstand, der Alkohol und die vielen Kokablätter in ihrem Mund ihre Stimme kaum verständlicher machten und ich hauptsächlich darauf konzentriert war, irgendwie die am wenigsten beißende Luft in meine Lungen zu bekommen, konnte ich leider kaum etwas von den Informationen aufnehmen. Wirklich schade!

Ich verstand nur so viel, dass bereits die Inker im Cerro Rico Silber gefördert hatten. Als die Spanier nach Südamerika kamen, fragten sie, woher das Silber stamme und nahmen den Cerro Rico direkt in Beschlag. Arbeiten tat freilich kein Spanier in den Minen. Das durften weiterhin die Einheimischen tun, wohl auch mit Unterstützung von afrikanischen Sklaven, nur das Silber ging ab sofort natürlich an die Spanier. In einer anderen Tour durch die Stadt hieß es sogar, dass die afrikanischen Sklaven viel mehr wert waren als die Einheimischen, denn die gab es hier zuhauf, während die Afrikaner gekauft und hergeschifft werden mussten. Wirklich grausige Zustände.
Inzwischen arbeiten die Menschen wieder auf eigene Rechnung in dem Berg, weiterhin zumeist mit den Jahrhunderte alten Methoden. Das meiste Silber ist abgetragen, ebenso das Kupfer. Der Berg gibt noch einiges her, aber alles in minderer Qualität.

Auch erzählte Iblin, dass der Alkohol nicht unbedingt zum Trinken sei. Das sei ohnehin eigentlich verboten. Sie meinte, dass es manchmal notwendig sei, ihn zu trinken, um irgendetwas zu desinfizieren oder so. Genau habe ich das leider nicht verstanden.
Hauptsächlich dient er aber dazu, um zu prüfen, ob noch genügend Sauerstoff vorhanden sei. Man zündet ab und zu etwas von dem Alkohol an. Wenn er nicht mehr brennt, ist der Sauerstoffgehalt in der Luft zu niedrig und man sollte die Miene schleunigst verlassen.

Immerhin hatte ich während des Vortrages meine FFP2-Maske auf. Eigentlich sollte sie vor allem den Feinstaub und andere schädliche Stoffe fernhalten und meine Nase wenigstens etwas vor den schlimmsten Gerüche in der Miene retten, aber auch gegen den Zigarettenrauch zeigte sie eine zumindest kleine Wirkung.

Ich war heilfroh, als Iblin endlich aufstand und es weiter ging. Zurück in den Gängen, in denen man aufrecht stehen kann, kam uns eine Lore entgegen. Im Vorwege war ich oft gewarnt worden, dass die Loren gefährlich werden können, da sie - von Hand geschoben! - schnell über die Schienen rauschten und man mitunter fix zur Seite springen muss, um nicht überrollt zu werden. Ich weiß nicht, wie unterschiedlich die verschiedenen Loren unterwegs sind. Diese aber wurde von zwei jungen Männern im Schritttempo - was anstrengend genug schien! - vorsichtig geschoben. Sie achteten sorgsam darauf, dass niemand auf den Gleisen war und schoben sich sehr umsichtig an uns vorbei. Die Begegnung mit der Lore war für mich also glücklicherweise weit davon entfernt, gefährlich zu sein.

Ab und zu gingen von dem Hauptgang kleinere Seitengänge ab. Sie waren in der Regel mit hölzernen Gattern versperrt. An einem Gatter hielten wir und Iblin rief nach dem "Jefe" (dt. Chef). Ein Herr mittleren Alters ließ uns daraufhin ein. Er erzählte, dass nicht jeder einfach so in der Mine anfangen könne zu graben, die Arbeiter seien in Gruppen organisiert. Jede Gruppe habe eine Art erfahrenen Vorarbeiter, den Jefe. Der Jefe wähle selbst aus, wen er in seiner Gruppe wolle und wen nicht.
Er saß dabei entspannt auf einem Stein. Zu tun gab es offensichtlich nicht viel. Seine Leute würden heute später kommen. Es war sicherlich schon 11 Uhr. Offen blieb, ob er seine Leute gebeten habe, heute später zu kommen (aber warum war er dann schon hier?) oder ob seine Leute geschlossen beschlossen hatten, am Vormittag der Arbeit fern zu bleiben (warum war er dann nicht zumindest etwas aufgebracht?).
Des Weiteren erzählte er, dass die Minenarbeiter alle in einer Art Gewerkschaft organisiert seien. Diese zahlten bei Krankheit und später die Pension. Auf Nachfrage stellte sich raus, dass das Krankengeld gar nicht mal so hoch war. Und auf meine Frage, wie viele Minenarbeiter (deren Lebenserwartung bei ca. 35-45 Jahren liegt) das Rentenalter von ca. 60 Jahren erreichen würden, gab es nur noch eine nuschelige, etwas unverständliche Erwiderung, aus der ich raushörte, dass es in der Tat maximal nicht so viele sein können.

In anderen Touren soll erzählt worden sein, dass die Minenarbeiter genau wissen, dass sie nicht alt werden würden. Da man aber in der Mine vergleichsweise viel verdienen kann, fühlen sich Viele wohl verpflichtet, sich zu opfern, um die Familie ernähren zu können. Wenn der Minenarbeiter wegen Krankheit oder Tod nicht weiterarbeiten kann, übernimmt ein Sohn den Job. Manchmal auch dann, wenn es sich um ein Kind handelt.

 

Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass versucht wurde, ein wesentlich besseres Bild von der Mine zu zeichnen, das absolut nicht der Realität entsprach. Allein von dem Gespräch her, hätte man den Eindruck gewinnen können, dass dies ein ganz normaler Arbeitsplatz, wie jeder andere auch sei. Warum, das war mir schleierhaft. Einzig kann ich mir vorstellen, dass sie versuchen, sich ihre Realität selbst schön zu reden, weil sie dann einfacher zu ertragen ist. Wenn ich nicht vorher schon so viel über die Minen gelesen und gehört hätte, hätte ich diese starke Schönung sicherlich geglaubt. So aber musste ich mich selbst daran erinnern, wie prekär hier alles zuging.

Der Herr erzählte noch, dass er für 50Kg Silberrohmaterial, das er vorrangig förderte, je nach Qualität ca. 300 BOB bekam. Das sind ca. 40€. Um mich an die Zahlen zu erinnern schrieb ich, sobald wir aus der Mine heraus waren und ich wieder Empfang hatte, die Notiz "300bs für 50kg Silber Rohmaterial" als WhatsApp an Timo. Prompt erhielt ich die panische Antwort "Bitte nicht kaufen!" 😂
Kaufen musste ich auch nichts, denn der Jefe schenkte uns allen ein kleines Stück Rohsilber. Wir bedankten uns herzlich für seine Zeit und überließen ihm unsererseits etwas zu Trinken und ein paar Kokablätter.

Etwas später trafen wir noch zwei junge Männer, die über und über mit Staub bedeckt waren. Sie arbeiteten mit Dynamit und machten gerade gezwungenermaßen eine Pause. Sie hatten vor Kurzem weiter hinten im Gang gesprengt und mussten nun 1-2 Stunden warten, bis sich der Staub legt. Denn Feinstaub ist einer der größten Gefahren in der Mine.
Irgendwie war mir etwas mulmig bei dem Gedanken, dass das dunkle Donnern in der Ferne, dass wir hörten, als wir beim Tio saßen, wohl tatsächlich Sprengungen gewesen sind. Ganz anders empfand das einer der Franzosen, er war enttäuscht, dass wir keine Sprengung live miterleben konnten. Er murrte nach der Tour uns gegenüber, dass für andere Gruppen durchaus extra gesprengt wurde. Ich bin nicht ganz sicher, ob er sich genug mit der Mine beschäftigt hat.
Die beiden "Sprengmeister" (ich vermute nicht, dass sie Bildungseinrichtungen lange von innen gesehen haben können, sondern eher learning by doing den Umgang mit Dynamit erlernt haben) erklärten uns, dass sie gerade ca. 11 oder 13 Stangen entzündet hatten. Scheinbar war ich die Einzige, die es beunruhigend fand, dass sie nicht wussten, was sie da genau hochgejagt hatten. In etwa versprachen sie sich jedenfalls ca. 3 Tonnen Material von der Sprengung. Wobei natürlich nicht alles verwertbar sein wird.
Wir schenkten ihnen die eine Stange Dynamit, die wir dabei hatten und die irgendwie kläglich wirkte nach der Info, dass sie für eine neue Sprengung mindestens 10 weitere bräuchten.

Als nächstes trafen wir in einem Seitengang auf weitere junge Männer. Die Fallzahl ist natürlich gering, da ich nur rund ein Dutzend Menschen in der Mine getroffen habe, aber vermutlich waren bis auf den Jefe alle jünger als ich. Nicht repräsentativ, aber sicherlich ein Indiz für die geringe Lebenserwartung der Kumpels. Immerhin habe ich keine Kinder gesehen. Es scheint sie aber zu geben und sich sogar in einer eigenen Kindergewerkschaft zu organisieren.
Zwei der Männer saßen und unterhielten sich. Der eine arbeitete wohl erst wenige Wochen in der Mine und war recht interessiert an uns. Sein Kollege war schon etwas dienstälter und war ähnlich auf den Mund gefallen, wie die anderen. Schwer zu sagen, ob das der Schlag Mensch Minenarbeiter ist, ob die Mine einen dazu macht oder ob die Leute doch wesentlich weniger Lust auf die Touristen haben, als die Guides einen Glauben machen wollen.
Hinter einer Lore standen noch zwei Menschen. Einer beobachtete, wie der Vierte arbeitete. Im rann der Schweiß aus allen Poren. Und das, obwohl die Minenarbeiter alle Trikots und Sporthosen trugen. Schutzkleidung wie die unsere hatte niemand. Ehrlicherweise schützte sie auch eher unsere Klamotten vor Dreck.
Der Vierte im Bunde schaufelte in fixem Tempo Material in die Lore. Warum nur er arbeite und die drei anderen entspannt chillten, erschloss sich nicht genau. Vielleicht wechselten sie sich ab. Falls das der Fall war, schien mir ein sofortiger Wechsel mehr als angemessen. Iblin fragte, ob wir ihm helfen wollten. Ich hatte von Honoré und Auriane gehört, dass sie auf ihrer Tour gebeten wurden, dabei zu helfen eine entgleiste Lore wieder zurück auf die Schiene zu heben. Entsprechend war ich unsicher, wie ernst gemeint die Frage war. Ich signalisierte aber Bereitschaft. Iblin ignorierte mich und blickte die Franzosen an. Sie hakte nach, ob die beiden helfen wollten. Ich bejahte nochmal deutlicher. Sie ignorierte mich. Der Mann schaufelte und schwitzte weiter. Ein drittes Mal insistierte Iblin, bis einer der Franzosen etwas überfordert ablehnte. Ich fragte, wobei er genau Hilfe brauchte. Wurde aber weiterhin ignoriert und schließlich gingen wir. Eine sehr skurrile Situation.

Und plötzlich, während ich mich noch tief in der Mine wähnte, standen wir wieder unter freiem Himmel. Die Tour war zu Ende, wir stiegen ins Auto, fuhren zurück in das heruntergekommene Lagerhaus, wechselten die Klamotten und - zack - waren wieder zurück im Stadtzentrum.
Ich war etwas von dem für mich abrupten Ende überfordert und versuchte noch zu verarbeiten, was wir gerade alles erlebt hatten.

 

Obwohl mir Iblin als Guide leider nicht so gut gefallen hat, ich ihr Englisch schlecht verstanden habe und sie nicht die Informationen geliefert hat, die ich mir gewünscht hatte, gab ich ihr noch ein gutes Trinkgeld. Sie wirkte auf mich, als hätte sie es bitter nötig und ich hoffe, dass es ihr irgendwie dabei hilft, sich ohne Minenarbeit über Wasser zu halten.

Abschließend bleiben bei mir einige Fragen. Z.B. warum die Menschen nichts mit hinunternehmen können. Insbesondere Essen oder Trinken. Es heißt, wegen der Kontamination. Kontamination der Mine? Überall sind Luftschlangen zu finden, da Karneval auch in der Mine gefeiert wird. Zudem liegt schon etwas Müll herum. Was spricht dagegen, den Müll in einem kleinen Turnbeutel nach Feierabend wieder mit hinauszunehmen? Zeit zum Essen und Trinken schienen ja viele zu haben.
Was passiert eigentlich mit den leeren PET-Flaschen, die wir hineingebracht haben? Warum können wir Getränke mit hinunter nehmen, die Arbeiter aber angeblich nicht?

 

Leider scheine ich keine Antworten mehr auf diese Fragen zu bekommen, die mich sicherlich noch eine Weile beschäftigen werden.
Besonders interessant ist auch die Frage: "Was kann man an den Zuständen in der Mine ändern?"
Vermutlich nichts. Das Einzige, was mir bis jetzt eingefallen ist, ist umsichtiger im Konsum, auch mit vermeintlich "günstigen" Produkten und Materialien zu sein. Aber selbst das. Hilft das den Menschen, wenn die Nachfrage nach dem von ihnen geschürften Silber, Kupfer uvm. sinkt?


Da man in der Mine wegen des Feinstaubs besser nicht mit einem Fotoapparat fotografieren sollte, habe ich alle Fotos mit meinem Handy gemacht, das mir leider vier Tage nach dem Minenbesuch gestohlen wurde. So blieb mir nur ein Foto, das ich direkt nach dem Besuch Timo geschickt und somit über WhatsApp gesichert hatte und eine Postkarte, die ich aus den geschossenen Fotos gebastelt und meinem Vater geschickt hatte. Er hat sie mir noch einmal abfotografiert. Die Qualität ist nicht die beste und leider ist nur ein Foto vom Inneren der Mine dabei, aber es reicht hoffentlich für einen groben Eindruck.

Links oben seht ihr den riesigen Berg, der entstanden ist aus Material, das aus dem Cerro Rico abgetragen wurde, aber als unverwertbar gilt. In der Mitte seht ihr mich in meinem Minenbesuchsoutfit. Oben rechts den Cerro Rico.

Unten links seht ihr den rauchenden Tio. In der Mitte dann noch einmal den Eingang Salvadora, durch den wir die Mine betreten haben. Und unten rechts den Vorplatz der Mine, wo die Loren ankommen und die Gesteine und Mineralien sortiert werden.


Solltet ihr mehr über die Minen erfahren wollen, scheint der Dokumentarfilm "Devil's Miner - Der Berg des Teufels" empfehlenswert, vermutlich aber auch dramatisch zu sein. Ich habe gerade mal gegoogelt und scheinbar kann man ihn hier zurzeit ansehen. Wir haben ihn bisher allerdings noch nicht selbst gesehen. 

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