Sucre
geschrieben von Franzi
Als ich bemerkte, dass mein Handy gestohlen worden war, fluchte ich einmal laut und resignierte dann. In Sekundenschnelle war mir klar, dass es weg war und dass ich es nicht zurückbekommen
würde.
Dennoch halte ich es für wichtig, Anzeige zu erstatten, damit es zumindest eine ernsthafte Statistik zu Diebstählen und anderen Delikten gibt und entsprechende (präventive) Maßnahmen ergriffen
werden können.
So machten wir uns auf zur nächsten Polizeistation. Die befand sich im Terminal. Dort angekommen schilderten wir den Sachverhalt so präzise wie möglich. Der Beamte war sichtlich erbost über das Unrecht, das mir zugefügt worden war und zeigte sich kämpferisch. Wir müssten zwar in ein anderes Präsidium gehen, seines sei nicht zuständig - warum auch immer - aber dort werde man die Diebe überführen können.
Wir waren erstaunt. Wie sie das denn dort anstellen, wollten wir wissen. Er meinte, dass man über die IMEI Handys weltweit verfolgen und aufspüren könne. Zudem sei die ganze Straße
Videoüberwacht, sodass der Diebstahl gefilmt worden sein muss.
Auf der einen Seite kam es mir etwas zu einfach vor. Wenn man mit der IMEI jedes Handy wiederfinden könne, warum wurden dann überhaupt Handys gestohlen? Müsste ein Diebstahl dann nicht völlig
zwecklos sein?
Gleichzeitig weckte der völlig überzeugte Polizist neue Hoffnung in mir. Zumindest die Kameraüberwachung müsste ja in der Tat was ergeben.
So machten wir uns auf in die andere Polizeistation. Dort warteten wir. Lange. Irgendwann mussten wir auf Klo. Die Damentoilette war abgeschlossen und außer Betrieb. Im Herrenklo flatterte
Absperrband und ein großes Schild beschied, dass man es nicht benutzten sollte. Es schien auch nicht mehr viel mehr zu sein als eine heruntergekommene Schüssel ohne Spülung. Nicht als erste
setzten wir uns über das Schild hinweg. Niemand hielt uns auf. Was muss, das muss.
Während wir warteten, schien ein anderer Fall von drei Damen bearbeitet zu werden. Wir verstanden äußerst wenig, aber sie waren sichtlich aufgelöst und aus den wenigen Worten leiteten wir ab,
dass sie wohl einen Mordfall anzeigten.
Das führte uns noch einmal vor Augen, dass der Verlust meines Handys zwar super ätzend, kostspielig, nerven- und zeitraubend und schlicht gesagt einfach nur richtig heftig scheiße ist,
dass es aber weitaus wichtigere Dinge im Leben gibt.
Irgendwann waren wir an der Reihe und schilderten noch einmal so detailliert wie möglich alles von vorne. Der Herr war extrem langsam und sichtlich ungeübt im Tippen. Insbesondere mein Zweitname
stellte ihn vor große Herausforderungen und er schrieb ihn nicht einmal korrekt auf, aber auch keine zwei Mal gleich falsch. Nachdem langwierigen Aufnehmen unserer Anzeige präsentierte er uns ein
gedrucktes Blatt mit allen Infos. Darauf war so einiges falsch. Neben meinem Namen auch solche Dinge wie die Farbe meines Handys und die Uhrzeit, zu der es geklaut wurde. Da uns ja in Aussicht
gestellt wurde, den Dieb per Videoüberwachung Dingfest zu machen, ist die Uhrzeit ja doch eher relevant. Dass aus "Samsung" "Asmsum" wurde, war noch am ehesten zu verschmerzen.
Wir korrigierten alles handschriftlich auf dem Zettel. Gleichzeitig wurde uns gesagt, dass man es im System nicht mehr ändern könne. Wer weiß, ob "man" es nicht kann oder eher "er" es nicht
kann...
Als wir dachten, fertig zu sein, wurden wir in ein weiteres Zimmer gebeten und sollten dort auf einen anderen Beamten warten. Warum, wurde uns nicht mitgeteilt.
Es gab nur einen Stuhl. Das Timo sich kurzerhand einen zweiten besorgte, lohnte sich durchaus, wie die einstündige Wartezeit uns lehrte.
Um uns herum hingen diverse Plakate, auf denen diverse Verbrechen abgebildet waren, darunter Gewalt gegen Frauen und tatsächlich auch Mord. Darunter standen Aufforderungen, die jeweiligen Delikte
anzuzeigen und Ähnliches.
Während wir warteten wurden auch mehrere Menschen in Handschellen herein- und wieder herausgeführt. Timo bemerkte zurecht, dass Opfer und Täter hier ja sehr nah beieinander wären. Später
entdeckten wir in einem anderen Raum auch noch Gefängniszellen, die in dem Gebäude direkt mit integriert waren. Die Stimmung wurde dadurch nicht wirklich behaglicher.
Irgendwann kam ein junger Mann herein und fragte, was wir hier überhaupt wollten. Das konnten wir ihm leider auch nicht sagen und verwiesen auf den ersten Mann, der uns hier hingesetzt
hatte.
Nach kurzem Hin- und Her zwischen den beiden Beamten sagte uns der zweite Mann, dass wir gehen könnten und fertig seien. Er gab uns lediglich die Telefonnummer unseres zuständigen Sergeants mit.
Bei dem sollten wir uns melden, er würde den Fall für uns aufklären. Warum der erste Mann uns diese Nummer nicht hatte geben können, sondern wir über eine Stunde darauf warten mussten, blieb uns
schleierhaft.
Da ich mich nach dem Diebstahl unsicher in der mir unbekannten Gegend fühlte und mit den Nerven ziemlich durch war, baten wir die Polizisten, uns ein Radiotaxi zu bestellen. Die sind sicherer als
die Standard-Taxen, da sie zu einem Unternehmen gehören und von diesem geortet werden können und keine Privatpersonen sind, die sich ein Leuchtschild mit der Aufschrift "Taxi" in die
Windschutzscheibe geklebt haben.
Die Polizisten beharrten zunächst, dass wir an der nächsten Straßenecke sicher ein Taxi finden würden, griffen dann aber doch zum Handy. Zwischendurch hatten sie die Anfrage sogar abgelehnt, da
sie kein Telefon hätten.
Das Auto, das schließlich vorfuhr, war das schäbigste und heruntergekommenste "Taxi" in dem wir seit langem gesessen hatten und himmelweit davon entfernt, ein Radiotaxi zu sein. Aber zumindest
holte es uns direkt an der Polizeistation ab und fuhr uns ohne Zwischenfälle zu unserem Ziel.
Knapp eine Woche später hatten wir einen Termin bei diesem Sergeant, der den Fall aufklären sollte. Erstaunlicherweise mussten wir ihm ebenfalls noch einmal alles von vorne berichten. Wozu
das zweite Polizeirevier überhaupt gut war, zu dem uns das erste geschickt hatte, erschloss sich uns nicht.
Auch hatten wir einige Mühe, ihm zu erklären, dass nicht alles, was er im System sah, korrekt war. Es sprach natürlich auch niemand Englisch. Die Touristenpolizei, die früher für derartige Fälle
zuständig war, ist inzwischen scheinbar abgeschafft.
Der Herr tippte nun einen eigenen Bericht. Gut, dass wir auch den prüften. Er schien mit einer Tastatur grundsätzlich umgehen zu können, vertippte sich aber bei der ebenfalls dezent relevanten
IMEI. Diesmal konnten wir es auch noch im System ändern.
Spannend war, dass unter dem Bericht quasi ein fingiertes Gesprächsprotokoll zu finden war, in dem der Polizist fragt, ob wir noch weitere Anmerkungen hätten und wir gesagt hätten, dass dies
nicht der Fall war. Tatsächlich hatte sich der Beamte aber geweigert, zahlreiche Details wie z.B. auf welcher Straßenseite wir unterwegs waren, in den Bericht aufzunehmen, da sie irrelevant
seien. Wir fragten uns, wie das irrelevant sein könne, wenn er doch die Videoüberwachung auswerten wolle. Mit der Info könnte ihm die halbe Arbeit erspart bleiben.
Am Ende des Termins teilte er uns noch mit, dass es heutzutage überhaupt kein Problem sei, dem Handy eine neue IMEI zu verpassen. Im Grunde könne er das Handy nur wiederfinden, wenn die Täter
extrem dumm wären und es einfach mit einer anderen SIM-Karte weiter benutzten würden. In allen anderen Fällen hätte er keine Chance.
Als wir ihm sagten, dass alle anderen Polizisten meinten, dass es schon möglich sei, das Handy wiederzufinden, lachte er nur. Seine ganze Reaktion entsprach schon eher unserer ersten geschätzten
Erfolgsaussicht.
Er versuchte mich zu beruhigen und meinte, dass ich ja den Zettel mit der Anzeige habe. Mit dem bekäme ich von meiner Versicherung einfach ein neues Handy.
Ich kann gar nicht beschreiben, wie anmaßend ich diese Aussage fand. Einfach davon auszugehen, dass ich mein Handy versichert habe, dass die Versicherung völlig problemlos kurz ein neues Handy
(nach Bolivien?!) rüberschiebt und überhaupt nicht zu beachten, dass es über den Verlust des Handys hinaus auch Datenverlust und sentimentale Werte gibt.
Er war ebenfalls mehr als überrascht, als ich ihm sagte, dass ich keine Versicherung habe und von ihm erwarten würde, dass er alles daran setzt, das Handy wiederzubekommen. Er schien maßlos
irritiert, dass ich wollte, dass er tatsächlich mehr tut, als mir diesen Wisch auszustellen.
Später fiel mir ein, dass ich vor Jahren tatsächlich mal eine Versicherung für das Handy abgeschlossen hatte, da sie bei einem Bankkonto inklusive war. Theoretisch müssten sie mir
den Neuwert abzgl. 25€ Selbstbeteiligung erstatten. Mal schauen, wie smooth das funktioniert...
Abschließend sagte uns der dienstunwillige Sergeant, dass wir noch irgendwo anders hingehen müssten. Wir verstanden den Ort nicht so richtig und er hatte sichtlich Mühe, den Ort auf Google Maps
für uns einzuzeichnen. Eine Adresse hatte er uns nicht nennen können. Mittels Street View fand er aber, wonach er suchte. Schon extrem schlecht, Leute an Orte zu schicken, von denen man die
Adresse nicht kennt.
Auch in den anderen Polizeistationen war uns dieser Ort bereits genannt worden. Was genau wir dort sollen, war uns aber ein Rätsel geblieben.
Der Sergeant erklärte, dass die - wer auch immer die sind - uns in einem Portal registrieren würden, über das wir den Status unserer Anzeige verfolgen könnten. Wir fragten, ob das ohne
bolivianischen Pass überhaupt möglich wäre.
Kein Problem, meinte er. Wir müssten allerdings morgen hin, da heute Feiertag und danach Wochenende sei.
Ob es denn keine andere Möglichkeit gebe, über den Status des Falls auf dem Laufenden zu bleiben? Beispielsweise weiterhin mit ihm über WhatsApp schreibend?
Nein, das ginge leider nicht. Das Portal sei die einzige Möglichkeit, je herauszufinden, ob die Ermittlungen erfolgreich verlaufen und mein Handy aufgespürt würde.
So stapften wir völlig lustlos am nächsten morgen zu dem in der App markierten Punkt. Erst vor Ort verstanden wir, dass es sich um die Staatsanwaltschaft handelte. Die würden quasi die
Ermittlungen vorantreiben, der Sergeant würde sie lediglich ausführen.
Wir sollten uns hinsetzen und warten teilte uns eine Dame im Eingangsbereich mit. Zum Glück insistierte Timo und versuchte zu beschreiben, was wir dort wollten, obwohl wir es ja selbst
kaum verstanden.
Er hatte aber dennoch Erfolg und die Dame führte uns durch das verwinkelte Gebäude in einen anderen Wartebereich. Wir warteten knapp eine Stunde, bis wir in ein Büro gebeten wurden. Der Herr
stellte sich als der zuständige Staatsanwalt vor.
Erneut berichteten wir alles von vorne, wieder auf Spanisch, natürlich sprach auch hier niemand Englisch und natürlich wusste auch hier niemand irgendetwas über unseren Fall.
Seine Antwort, war so schlicht wie ernüchternd. Ohne Bolivianischen Personalausweis könne man sich nicht im System registrieren. Ich wurde langsam echt wütend. Wieso rennen wir eigentlich von
einem Beamten zum nächsten, wenn keiner irgendeine Ahnung hat, von dem was er selbst oder gar ein anderer tut.
Timo kontaktierte den Sergeanten per WhatsApp-Telefonie und wir wollten die Herren das Problem untereinander klären lassen. Der Sergeant gab seine Position aber in Sekundenschnelle auf. Wenn
es nicht geht, dann geht's halt nicht, meinte er.
Wie uns der Staatsanwalt auf dem Laufenden halten wolle, konnte er uns auch nicht sagen. Ganz offensichtlich wollte er uns einfach auch nicht auf dem Laufenden halten.
Der Sergeant bot "netterweise" an, mit uns per WhatsApp in Kontakt zu bleiben. Warum das erst ging, nachdem wir zu einer anderen Behörde gelaufen sind und uns über eine Stunde durch deren Inneres
gekämpft haben, und nicht gestern schon möglich war, wird wohl für immer sein Geheimnis bleiben.
Wir waren aber sichtlich nicht die einzigen, denen das Justizsystem auf den S*** ging. Im Flur beschwerte sich eine emotional hochaufgeladene Dame lautstark, die offenbar ein zumindest
mittelschweres Delikt anzeigen wollte. Dies wurde ihr von den Staatsanwälten aber verwehrt, da sie irgendeinen QR-Code nicht vorzeigen konnte.
Schon kurios, wir einerseits überall darauf gedrängt wird, Verbrechen anzuzeigen, gleichzeitig werden einem dabei aber nur Steine in den Weg gelegt.
Wir werden nun erstmal nach Samaipata weiterreisen und dem Sergeanten regelmäßig mal schreiben und uns auf dem Laufenden halten lassen. Mal schauen, ob und wie diese Geschichte noch weitergeht...
Update 04.07.:
Der Versicherung habe ich inzwischen unzählige Unterlagen zugeschickt. Nach häufigem Nachhaken haben sie es nach 2,5 Wochen zumindest geschafft, deren Eingang zu bestätigen. Insgesamt ist
die Schadensmeldung nun 5,5 Wochen her ohne eine nennenswerte Rückmeldung. So viel dazu, dass ich nur den Wisch brauche und Tadaaa, halte ich das neue Handy in Händen. Wir haben uns übrigens auch
nach neuen Handys vor Ort umgeschaut. Die sind hier allerdings wesentlich teurer als in Deutschland. In Deutschland habe ich mein letztes (das einzige, das ich je gekauft habe) gebraucht
bestellt. Ich habe mich auch hier nach gebrauchten Handys umgesehen. Sie waren in der Tat teilweise sehr günstig, aber ich hielt die Wahrscheinlichkeit für nicht gering, dass sie ebenfalls
gestohlen waren und ich damit das System der Diebesbanden noch unterstützen würde. Mein Handy ist uns dabei leider nicht über den Weg gelaufen. Dafür ist das Angebot viel zu groß. Es gab an jeder
Ecke gebrauchte Ware. Zudem brauchen sie sicherlich ein bisschen Zeit, um die IMEI zu ändern. Grundsätzlich würde man dafür sicher einen guten Preis kriegen. Das Modell ist natürlich nicht mehr
ganz neu, aber es hat nach 3,5 Jahren Nutzungsdauer nicht einen Kratzer, worauf ich schon etwas stolz bin. Jetzt wünschte ich mir aber, die Diebe hätten nur den letzten Schrott in die Finger
bekommen, der jederzeit auseinanderfallen könnte.
Dem Sergeant haben wir ebenfalls geschrieben. Er meinte, dass mein Handy noch nicht wieder mit einer neuen SIM in Betrieb genommen wurde. Das hat uns nicht wirklich gewundert. So dumm wird der
Dieb wohl kaum sein.
Wir fragten auch nach den Auswertungen der Überwachungskameras. Er meinte ausweichend, dass die leider nicht in die richtige Richtung gezeigt hätte. Als wir nachhakten, ob wirklich keine einzige
der Kameras in die richtige Richtung gezeigt hätte, meinte er nur, dass er nicht einsieht, etwas für den Fall zu unternehmen, da wir ja eh nicht in Sucre seien. Das war dann wenigstens eine
ehrliche Antwort.
Wir haben ihm noch einmal versichert, dass wir die 10-stündige Busfahrt von La Paz nach Sucre durchaus auf uns nehmen würden, wenn er das Handy finden sollte. Aber es ist natürlich wesentlich
einfacher für ihn, diese Tatsache zu ignorieren und seinen Vorgesetzten zu sagen, dass die Sache abgehakt werden kann, da wir Touristen seien und die Stadt verlassen hätten. Vermutlich hat er das
bereits direkt am Tag unserer Anzeigenaufgabe getan.
Update 07.07.:
Tatsächlich hat sich die Versicherung gestern gemeldet. Ohne weitere Nachfragen zu stellen, haben Sie mir bestätigt, dass das Geld innerhalb von 5 Werktagen auf unserem Konto eingeht. Man muss auch mal Glück haben 😃
Kommentar schreiben