Concepción
geschrieben von Timo, editiert und ergänzt von Franzi
Seit einiger Zeit überlegen wir, den Nationalpark Noel Kempff Mercado im Norden von Bolivien an der Grenze zu Brasilien zu besuchen. Das Highlight des Parks, der im Amazonasbecken liegt, auch wenn der gleichnamige Fluss noch weit entfernt ist, sind die Biodiversität, der riesige Tafelberg, der dafür sorgt, dass es auf und unter dem Berg unterschiedliche Habitate gibt, sowie die daraus resultierenden Wasserfälle. Er ist Weltnaturerbe und zählt zu den Erben, die besonders schwierig zu erreichen sind.
Nachdem wir in Santa Cruz bereits festgestellt hatten, dass Agenturen einen Besuch für 2.000 USD pro Person für 4 Tage anbieten mit privatem Anflug in den Dschungel, hatten wir bereits Abstand von dem Plan genommen. Allerdings hatte uns die nette Frau der Agentur Ruta Verde empfohlen, in San Ignacio, was näher am Park liegt, nochmal nachzufragen, ob wir von hier aus in den Park können. Auch hatte sie uns davor gewarnt, dass die Leute hier im Osten nicht immer die Wahrheit sagen.
Vorgestern sind wir also vorstellig geworden im lokalen Touristenbüro von San Ignacio und ein älterer Herr erklärte uns, dass man den Park schon besuchen könne. Den südlichen Teil seit 2014 nicht mehr, aber den entlegeneren Norden kann man besuchen. Ein anderer älterer Mann übernahm plötzlich. Er stellte sich als der Leiter für Tourismus in San Ignacio heraus und eine Art Chef von dem anderen. Mit einigen verwirrenden Skizzen und Telefonaten organisierte er uns völlig überzeugt von seinem Tun einen Fahrer, den Paten seines Sohnes, nach Piso Firme im Norden des Parks sowie eine Unterkunft bei seinem Cousin in dem Dorf, der auch ein Boot für uns für drei Tage hätte und der Parkdirektor gab ihm am Telefon noch den Kontakt zu einem ortsansässigen Guide durch. Nach dem rund zweistündigen Gespräch, das bei mir Kopfschmerzen für den Rest des Tages auslöste, dachten wir, dass wir in den Park fahren würden. Franzi war nur verunsichert, dass uns am Ende des Gesprächs noch empfohlen wurde, ein Gegengift für etwaige Schlangen- oder Spinnenbisse mitzunehmen. Da man bei der Anwendung des Antiserums genau wissen müsse, welches Tier einen gebissen habe, und das nicht immer genau zu eruieren sei, sei es einfacher ein Allroundmittel zu kaufen. Das gäbe es allerdings nicht für Menschen, beim nahegelegenen Tierarzt würden wir aber ein Mittel für Kühe bekommen. Unseren Bedenken, ob es schlau sei, ein nicht für menschliche Zwecke gedachtes Medikament einzunehmen, wurde nur entgegnet, dass man es ja eh nicht brauchen würde, sondern nur für den Notfall dabei haben solle.
Am nächsten Morgen schrieben wir die verschiedenen Kontakte, die wir bekommen hatten, mal selber an, um die Details zu klären und unsere Bedenken ausräumen zu lassen. Dabei stellte sich heraus, dass das günstige Angebot des privaten Fahrers gar nicht existierte. Der Pate des Sohnes sollte uns für 300 BOB (~40€) mitnehmen, da er die Strecke eh fahren würde. Er selbst sagte aber, er sei gar nicht in San Ignacio, sondern in Piso Firme und würde die 6-10 stündige Fahrt gen Süden (die Angaben variierten sehr), nur auf sich nehmen, wenn wir ihm 3.500 BOB (~465€) zahlen würden, da er nur für uns hin und zurück fahren würde. Eine erste Bestätigung dessen, dass sich hier nicht jede Aussage als wahr herausstellte.
Während wir die ganzen (oft widersprüchlichen) Infos und Pläne sacken ließen, verbrachten wir noch etwas Zeit im Ort, hörten uns um und sprachen mit einigen Leuten. Zwischendurch erreichte uns noch ein Angebot, spontan mit ca. 2 Std. Vorlauf mit Parkrangern nach Piso Firme zu fahren, die sowieso dorthin mussten. Wir lehnte dankend ab, da wir noch eine Hotelreservierung für eine weitere Nacht in San Ignacio hatten, uns der ganzen Sache eh noch nicht so richtig sicher waren und auch mal entspannen wollten nach dem Mennonitenabenteuer. Was uns in der Informationsflut aber eher schlecht als recht gelang.
Der Guide, der uns durch den Park führen würde und den wir zwischenzeitlich via WhatsApp erreichten, bestätigte ebenso wie der Park-Direktor, dass es schlau sei, Gegengifte einzupacken. Franzi wunderte sich, dass der Guide selbst nicht sowieso immer alles Nötige vorbeugend dabei hat. Auf Nachfrage bestätigte er, dass jeder, der in den Park geht, für sich selbst verantwortlich sei und seine eigenen Medikamente einpacken müsse. Er empfahl uns eine ganze Reihe Medikamente, allerdings ohne ein Fabrikat, eine Marke oder einen Ort, wo man sie kaufen könne zu nennen. Darunter war das vielbesprochene Gegengift, ein Mittel das vermutlich gegen Rheuma (oder einsetzende Lähmung nach einem Biss?) sein soll, Schmerzmittel, ein Mittel gegen Allergien (wobei offen blieb, warum und gegen welche Allergien). Dazu nutzte er noch ein Wort, das von unseren digitalen Wörterbüchern gleichermaßen als Verbandskasten und Hausapotheke übersetzt wurde. Er selbst habe nie Antigifte dabei. Unsere Frage, was passieren würde, sollte er gebissen werden, blieb unbeantwortet. Dieses Gespräch trug nicht wirklich dazu bei, uns ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln. Der Guide schien sich eher nach Paretoprinzip vorzubereiten, was vielleicht mal im Büro Sinn ergibt oder bei Zeitmangel bei einer Prüfungsvorbereitung, aber bestimmt nicht bei einer potentiell lebensbedrohlichen Expedition in den Dschungel.
Zudem erfuhren wir bei Gesprächen mit verschiedenen Personen weitere beunruhigende Dinge über den Nationalpark. Wir hatten schon vor langer Zeit erfahren, dass es dort Drogenlabore gäbe. Dass der Park direkt an der Grenze zu Brasilien liegt, begünstigt ihn wohl als guten Produktionsstandort. Allerdings schätzten wir die Bedrohung für uns als eher gering ein, da die Leute sicherlich ein Interesse hätten, sich in dem großen Park gut zu verbergen und sich nicht ausgerechnet auf den wenigen Touristen zugänglichen Pfaden zu bewegen, um Konfrontationen zu vermeiden. Diese Annahme stellte sich offenbar als Irrtum heraus. Der südliche Teil des Parks, so erfuhren wir, sei nicht mehr zu besuchen, da sich die Kokain-Hersteller tatsächlich genau in der ehemals touristischen Infrastruktur niedergelassen hatten. Die Konfrontation schienen sie dabei nicht zu fürchten. Tote Touristen hat es bislang wohl noch nicht gegeben, vielleicht auch, weil sie damit eine internationale Krise riskieren würden, aber bedroht und verjagt wurden Touristen durchaus schon. Im Norden soll es diese Probleme (bisher) noch nicht gegeben haben, aber wir hörten immer wieder, dass wir auf die vermeintlich garantierte Sicherheit der verschiedenen Anbieter nicht vertrauen sollten. Denn letztendlich wären wir im Zweifelsfall Stunden oder Tage entfernt von anderen Menschen und somit völlig hilflos. Die Anbieter hätten angeblich mehr Interesse daran, an uns viel Geld zu verdienen, als uns aufrichtig schützen zu wollen.
Bei Nicht-Touristen, insbesondere Menschen, die sich im Park für Umweltschutz und Sicherheit engagierten, seien die Drogenbanden weniger zimperlich und es gäbe immer wieder Tote. Zuletzt seien vor wenigen Monaten Polizisten oder Soldaten erschossen worden.
Auch der Namensgeber des Parks wurde 1986 von Arbeitern in einem Drogenlabor, auf dass er aus Versehen stieß, umgebracht. Infolgedessen wurde der Park nach ihm umbenannt. Heute soll das Thema noch größer sein als damals. Gelesen habe ich, dass letztes Jahr ein Drogenlabor gefunden und von der Polizei abgefackelt wurde. 4 Leute wurden festgenommen. Dieses Jahr soll ein Flugzeug abgestürzt sein, dass über 400 kg Kokain aus dem Wald transportierte.
Auch auf der Busfahrt kann es schon sein, dass man als Drogenkurier missbraucht wird, wenn man nicht auf sein Gepäck aufpasst. Dieses Risiko gilt laut Auswärtigem Amt und auch laut vielen Bolivianern zwar im ganzen Land, sei hier aber noch einmal erhöht. Ein weiterer Grund, warum wir unsere Packsäcke, in denen wir unsere Backpacks auf jeder Fahrt verstauen, feiern. Es ist natürlich viel einfacher, etwas in einem unbeaufsichtigten Rucksack im Kofferraum oder auf dem Dach zu verstecken, als in einem gut verschlossenen Sack, den man erstmal zusätzlich auffummeln müsste.
Besonders und nachhaltig schockiert hat uns eine Geschichte, die wir über den Cousin des Tourismuschefs der Stadt gehört haben, bei dem uns ja die Unterkunft in Piso Firme vermittelt wurde. Sein Hotel ist wohl neu (und recht teuer). Angeblich ist auch er in Drogengeschäften verwickelt. Gesagt hat es zwar niemand, aber die Vermutung liegt nahe, dass die Unterkunft zur Geldwäsche dienen könnte. Wir hörten, dass er früher auch Autos für Fahrten in den Südteil des Parks verlieh, als dies noch möglich war. Die Preise, die dafür aufgerufen wurden, schienen absurd teuer. Interessanterweise winkten die Erzählenden ab. Das Geld dafür würde man ja vom Veranstalter zurückbekommen, die es natürlich von den Touristen bekamen. Schon interessant, wie gut und hartnäckig Bolivianer verhandeln können, wenn es um ihr eigenes Geld geht und wie großzügig und gedankenlos sie absurd hohe Preise zahlen, wenn ein anderer Dummer am Ende blecht und sie daran mitverdienen können. Jedenfalls stellte sich heraus, dass wohl nicht jedes verliehene Auto rechtmäßig im Besitz des Cousins war. Es gab wohl Fälle, in denen auf der Fahrt durchs Dickicht durch schnelles Abblättern des Kennzeichens dessen Fälschung offenbart wurde.
Viel, viel schlimmer war aber ein Ereignis vor ungefähr 3 Jahren. Damals wurde sein fast erwachsener Sohn vermutlich von rivalisierenden Drogenbanden gekidnappt. Zusammen mit einer Lösegeldforderung wurden Einzelteile des Jungen an den Cousin gesendet. Obwohl der Vater auf die Forderung einging und das Lösegeld zahlte, brachten sie den Sohn wohl trotzdem um.
Insgesamt waren wir mittelschwer überfordert, alles auf Spanisch zu verstehen, die Risiken von Moskitoscharen, Schlangen, Spinnen und Drogenarbeitern einzuschätzen und überhaupt klarzukommen. Spätestens diese Geschichte ließ uns unsere Besuchspläne fallenlassen. Eigentlich hatten hierfür bereits die giftigen Tiere ausgereicht, aber dieses unfassbare Drama gab uns den Rest.
Wir fragten uns inzwischen, wie die UNESCO das Thema eigentlich sieht. Denn abgesehen von den Touristen, können ja sicherlich auch die Ranger den Park nicht mehr ganz ungefährdet betreten. Zudem wird die Drogenproduktion sicherlich der Flora und Fauna schaden, was alles andere als im Sinne des Naturschutzes ist.
Einige Leute deuteten zwar an, dass nicht alles, was andere sagen, wirklich wahr sei, aber wenn auch nur ein Bruchteil von dem stimmt, was wir erfahren haben, reicht uns das auch schon. Zudem würden viele eher nicht empfehlen den Park zu besuchen. Franzi hakte noch einmal nach, ob man seine eigenen Kinder oder Freunde in den Park schicken würde. Das wurde ganz entschieden verneint. Ein deutliches Zeichen.
So hilfsbereit die beiden Herren im Tourismusbüro auch waren, ein riesiges Vertrauen haben sie nicht aufgebaut, sondern eher ein Angebot ausgearbeitet, von dem sie fest ausgingen, dass wir es annehmen würden. Auch der Guide und der Park-Direktor haben es nicht ansatzweise geschafft, unsere Bedenken auszuräumen. Teilweise liegt dies sicher auch daran, dass wir mehrfach hörten, offiziellen Personen gegenüber das Thema Drogen keinesfalls anzusprechen. Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen, sei hier das sicherste Vorgehen. Wir sollten höchstens sagen, dass wir "keine Probleme möchten". Darauf angesprochen, erhielten wir aber nur wortreiche Antworten, die absolut nichts aussagten.
Wir entschlossen uns schließlich, erstmal nach Concepción weiterzufahren und das ganze Thema noch einmal sacken zu lassen. Falls uns doch noch jemand alle Sorgen nehmen könnte, wäre der Weg in den Park von hier ähnlich weit wie von San Ignacio aus.
Allerdings hielten wir es aufgrund der chaotischen Organisation und der Unsicherheit, wer alles im Drogenthema drinsteckt, bereits zu diesem Zeitpunkt für unwahrscheinlich, dass wir dieses Welterbe tatsächlich besuchen würden. Das Risiko der unterschiedlichen Gefahren insbesondere des Drogenthemas erscheint uns einfach zu groß. Die Tatsache, dass wir innerhalb des Parks nicht übernachten könnten, sondern zum Schlafen illegal nach Brasilien einreisen müssten, erschien uns anfangs noch leicht beunruhigend, inzwischen aber schon wie die absolut geringste Nichtigkeit in dem ganzen Drama.
Wir sind jetzt inzwischen in Concepción und werden wegen all der genannten Risiken nicht in den Nationalpark fahren. Wir werden vermutlich ähnliche Orte besuchen wir Trinidad, Parque Nacional Madidi und Parque Nacional Manú in Peru, die auch im Amazonasbecken liegen. Diese Orte sollen ebenfalls wunderschön und gleichzeitig sehr sicher sein. Es ist wirklich super schade, dass dieser seit Wochen verfolgte Traum nun platzt. Insbesondere die Tatsache, dass es so schwierig sein sollte, den Park zu besuchen reizte uns zusätzlich, ganz abgesehen davon, dass es dort viele (Säuge-) Tiere geben soll, die es nur in Bolivien gibt und von denen wir noch nicht einmal wussten, dass sie existierten. In der World Heritage Gruppe, in der ich aktiv bin, zählt der Park zu einem von nur ca. 20 Welterben, zu denen es noch keine einzige Review gibt. Es wäre schon wahnsinnig spannend, Pionier auf diesem Gebiet zu sein. Wir trösten uns ein bisschen mit dem Gedanken, zumindest soweit Pionier zu sein, als dass wir eine bezahlbare Möglichkeit gefunden haben, um den Park zu besuchen sowie zahlreiche Informationen gesammelt zu haben und dieses Wissen weitergeben zu können. Manche Menschen sagen, dass der Parque Nacional Noel Kempff Mercado der schönste, wundervollste und artenreichste Ort der Welt sein soll. Aber die Vernunft geht vor. Wir wollen keine großen Risiken für uns eingehen, nur um etwas Spannendes und Einmaliges zu erleben. Leider fühlt sich diese Vernunft ein stückweit wie Aufgeben an, auch wenn wir wissen, dass es absolut nichts damit zu hat, sondern eine vermutlich weise Entscheidung von uns ist, uns nicht blindlings in unabsehbar gefährliche Abenteuer zu stürzen.
Franzi ist ja tendenziell immer etwas abenteuerlustiger und vertraut in jeder Situation sehr auf ihr Bauchgefühl, das ihr sagt, ob eine Unternehmung ganz entspannt ist oder erhöhte Aufmerksamkeit erfordert. Nachdem wir aber alle oben genannten Informationen erhalten hatten, sagte sie, dass ihr Bauchgefühl noch nie derart Alarm geschlagen hätte und sie noch nie derart vor etwas gewarnt hätte. Dementsprechend war sie sehr erleichtert, als ich einwilligte, nicht in den Park zu fahren.
Vielleicht haben wir ja eines Tages Glück und der Kampf gegen die Drogen im Park findet ein erfolgreiches Ende, sodass wir irgendwann zurückkehren und ihn doch noch gefahrlos besuchen können.
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