Titicacasee
geschrieben von Timo
Franzi hatte den einprägsamen Namen des höchsten, schiffbaren Sees des Planeten schon im Erdkundeunterricht in der Schule lustig gefunden. Und auch mir ist der Titicacasee schon seit langem ein Begriff. Jetzt waren wir beide zum ersten Mal an, auf und in dem See und haben es sehr genossen.
Nachdem unser Ausflug vom Friedhof nach Tiwuanaku einige Tage zuvor an fehlenden Transportmöglichkeiten gescheitert war, so fuhr diesmal der Bus tatsächlich sofort los, obwohl oder weil der Busfahrer sagte, dass es "ahorita" (sofort) losgeht. Oftmals heißt "ahorita" in Bolivien so viel wie: "Ich sag Dir zwar, dass es jetzt losgeht, aber eigentlich habe ich keine Ahnung, wann es in nächster Zeit losgeht oder ich sage Dir absichtlich das Falsche, um Dich zu mir zu locken und Dein Geld zu bekommen." Nur bei der Fähre in San Pablo de Tiquina waren wir kurz nervös, als wir den Bus verlassen mussten und dieser mit unserem Gepäck auf ein paar fahrenden Brettern den Titicacasee an einer engen Stelle überquerte und wir seperat mit einer Personenfähre über den See fuhren. Letztlich fanden wir unseren Bus aber wieder und kamen wirklich innerhalb von drei Stunden in Copacabana am See an mit den ganzen anderen Inlandstouristen an Bord.
Eigentlich war ich genervt von einem Kleinkind, dass im Bus gegen mein Bein trat und den Leuten hinter mir, die laut irgendwas auf dem Smartphone schauten. Als wir dann aus dem Busfenster aber zum ersten Mal den Titicacasee sahen, wich die Verärgerung einer Aufgeregtheit zum ersten Mal diesen hochgelegenen Riesen-See zu erblicken. Die Anfahrt bis Copacabana ist durchaus spektakulär mit dem ständigen Kontrast der schroffen, hügeligen Altiplano Landschaft und dem schönen Dunkelblau des Sees unter permanentem Sonnenschein. Copacabana liegt direkt am Ufer des Sees neben größeren Hügeln. Den am dichtesten liegenden Hügel bestiegen wir abends für den Sonnenuntergang und waren damit bei weitem nicht alleine. Die Cholitas verkauften an ihren Ständen oben interessanterweise hauptsächlich Spielzeugautos! Ihre Erfahrung wird ihnen sicherlich recht geben. Bevor die Sonne im Wasser des Sees irgendwo in Peru zu versinken scheint, fragte mich noch eine Bolivianische Mutter, ob sie ein Foto mit mir machen könne. Einer der vielen Fotografen mit Polaroidkamera knipste ihr das Bild mit mir. Ihre Familie fand, dass ich aussah wie Jesus. Franzi befürchtete andere Motive bei der Frau mittleren Alters für den Fotowunsch. (Edit Franzi: Die Dame war erst etwa 35!) Netterweise schoss sie danach auch noch ein kostenloses und sehr schönes Handyfoto von uns beiden und erzählte uns, dass sie zum ersten Mal am Titicacasee sei und normalerweise als Krankenschwester in der Klinik Foianini in Santa Cruz arbeitet. Wir konnten uns aber nicht daran erinnern uns während meines zweitägigen Aufenthaltes in der Klinik begegnet zu sein.
Man mag es vielleicht als logisch bezeichnen, dass es in Copacabana an Inlandstouristen und der Bolivianischen Marine nur so wimmelt, da das Land nunmal seit Ende des 19. Jahrhunderts nach dem verlorenen Krieg gegen Chile keine Küste mehr hat. Wir waren dennoch überrascht von den Mallorca ähnlichen Verhältnissen am Strand des 15.000 Einwohner Städtchens und der geringen Gringodichte unter den Touristen. Viele kommen mit dem Auto samt Familie, zelten am Strand und chillen dort auch den ganzen Tag. Auch Tagesausflüge zu den Islas Flotantes, sowie den echten Inseln Islas del Sol und Isla de la Luna stehen bei vielen auf dem Programm. Im Hafen werden die Angebote für diese Optionen herumkrakehlt und sie sind nicht allzu teuer. Dafür sind die Boote, die aus der Ferne aussehen wie Yachten oder schicke Sportboote bei genauem Hinsehen auch nur weiß angemalte, zusammengenagelte Holzbretter mit Plexiglas und zwei Außenbordmotoren sowie genug Schwimmwesten für alle die, die auf dem Dach sitzen, da die unten im Boot ja nicht untergehen können.
Wir machten einen entäuschenden Ausflug zu einer der schwimmenden Inseln (Islas Flotantes), die wir uns ganz anders vorgestellt hatten. In Peru leben die Menschen angeblich aus den aus Schilf gebauten Inseln weit im Inneren des Sees (Islas Uros). Hier wurden ein paar Stelzen mit Brettern drauf vors Ufer ins Wasser gebaut sowie davor Pontons ins Wasser gelegt. Dann gab es zwei Tümpel mit Forellen, die man sich fangen durfte und die einem dann gebraten wurden. Da wir gerade erst gefrühstückt hatten, verzichteten wir. Die Bolivianischen Familien hatten hier viel Spaß. Wir als einzige Weiße stritten uns noch etwas mit dem Fahrer über den Fahrpreis und suchten nach Franzis Willen danach nach einem "traditionellen Boot" mit dem wir über den See fahren wollten. Diese gelben Schilfboote, die gefühlt auf jedem Titicacasee Plakat abgebildet sind und mit denen vermutlich seit Jahrhunderten die Menschen über den See gerudert sind, gibt es aber einfach nirgendwo mehr. Es gibt nur noch die beschriebenen motorisierten Fähren sowie Nachbildungen der traditionellen Boote. Dann haben sie aber nur Schilf als Verzierung über anderem Material, verzierende Drachenköpfe sowie Motoren als Antrieb. Vielleicht haben wir ja in Puno in Peru mehr Glück. Nach einer quälend langen Stunde fuhr uns unser Fahrer zurück mit der Fähre nach Copacabana, wo wir unsere Badesachen rausholten und versuchten zu baden (als einzige). Wir wateten ins eiskalte Wasser bis zu den Knien, weil uns dann ein sich durchziehender, ekliger Seegrasteppich den Weg versperrte. Danach trockneten wir in der knalligen Altiplanosonne bei ca. 15°C im Schatten auf harten Steinen am Strand. (Edit Franzi: In der Sonne waren mindestens gefühlte 25°C.) Abends gab's nach einem Kaffee ein leckeres Käsefondue mit Blick über die Lichter vor dem dunklen See. Neben am Strand sitzen ist die übliche Aktivität der Bolivianischen Touristen in voller Montur an der Küstenlinie übrigens noch auf Gummigefährten hinter Speedbooten hergezogen zu werden. Sie ähneln Banana Boats und drehen sich oder hüpfen einfach nur über die Wellen. Warum das actionreiche Nasswerden bei den Leuten so beliebt war, wissen wir nicht. Und ebensowenig, warum niemand dabei Badekleidung trug. Alle hatten normale Alltagsklamotten an. Aber Copacabana ist auf jeden Fall der Mittelmeerurlaubsort der Bolivianer.
Am nächsten Tag trennte sich dann die Spreu vom Weizen oder der Gringo- vom Inlandstouristen. Wir ließen Teile unseres Gepäcks in den Packsäcken unseres Hotels in Copacabana und machten uns mit Tagesrucksäcken und halbleeren Backpacks auf eine "Kreuzfahrt" zu den Inseln des Sees. Während ich noch etwas unentspannt war, da es nicht wie erhofft eine Gepäckablage für unser Gepäck gab, sondern es im Gang stand, mir mal wieder ein Kind permanent in den Rücken trat und ich nicht oben sitzen durfte, um den Ausblick zu genießen, hatte Franzi schon etwas dreist und ungefragt auf dem Sitz neben dem "Kapitän" Platz genommen. Der Kapitän war der Guide für die Isla de la Luna wie sich später herausstellte. Einen Motor hatte er mit einem Seil am Holz festgebunden, während er auf volle Pulle lief, den anderen steuerte er lässig mit seinem Fuß im Sitzen, während er eine Mandarine schälte und die Reste ins Wasser warf. Wir waren uns nicht sicher, ob er durch das Boot sehen konnte, wann es Gegenverkehr gibt oder wo die Inseln kommen, aber der See ist ja groß... Wir erreichten die Mondinsel (Isla de la Luna), bei der unser Guide und Kapitän eine Führung geben würde, die er für 10 Bolivianos pro Person anbot. Zum Glück verzichteten wir, da er, wie wir aus der Nähe dann doch mitbekamen, in einer Inkaruine nur erzählte was für ein tolles Buch die Bibel doch sei, so dass ein Teilnehmer der Tour am Ende fragte, ob er auch etwas über die Ruine wisse. Wir wurden unser Geld dennoch los, da wir natürlich den Ausländerpreis als Eintritt für die Insel zahlen mussten- mal wieder doppelt so hoch wie für Bolivianer. Einerseits regte ich mich darüber auf, andererseits genoss ich auch den glorreichen Ausblick über den Titicacasee hin zur Cordillera Real, die auch in den kommenden Tagen unser Bild bestimmen würden. Während zu allen anderen Seiten des Sees die Begrenzung schroffe, brauen Hügel sind, so strahlen aus nord-östlicher Richtung riesige, schneebedeckte Gipfel hoch über dem See. Die Isla de la Luna hatte nicht viel zu bieten. Vielleicht wäre es interessanter, wenn man eine Nacht bliebe. Das machten wir dann aber bei der viel größeren Isla del Sol, die man dennoch in nur einem Tag zu Fuß umgehen kann. Die anderen Touristen hatten auch hier nur eine Stunde Zeit die Insel zu erkunden, wobei sie nur einen kleinen Eindruck vom Ort Yumani erhaschen konnten, dessen Zentrum aber eigentlich 200 Meter weiter oben am Ende einer knüppelharten Treppe liegt. Die "Escalera del Inca" mit Gepäck hoch zu laufen war schon eine Tortur, aber wir hatten ja Zeit. Sie wird umgeben von einem netten Garten und Wasser läuft neben ihr herab Richtung See. Unser Hostel war gefühlt das, was am weitesten oben war, aber jeder Schritt bergauf wurde durch den Ausblick aus unserem Zimmer entschädigt. Die drei großen Fenster zeigten in drei unterschiedliche Himmelsrichtungen jeweils mit Seeblick und unser Doppelbett war genau auf die schneebedeckten Berge ausgerichtet hinter denen die Sonne aufgehen würde. Fantastisch! Hier oben im Örtchen Yumani leben wohl noch die Dorfbewohner, die neben Spanisch angeblich auf Aymará sprechen, die lokale Kultur in dieser Region. Daneben waren hier natürlich wieder vor allem Franzosen und andere, westliche Touristen. Und eine unfassbar angenehme Stille. Keine Autos, wenig Lärm und der Blick über den unter einem liegenden See. Es gab auch einen Meditationsraum, den ich wegen des Buddhas, der darin stand, so nannte und der, wie ich fand, sehr gut hier her passte. Franzi meinte, dass sie nur die Möbel in dem Raum noch nicht eingerichtet hätten. Wir machten noch einen Nachmittagsausflug zu einer weiteren Inkaruine im Süden der Insel, bei der es wieder keine Infos gab aber immerhin auch kein Eintritt verlangt wurde. Besonders aufschlussreich sind diese Ansammlungen an Räumen ohne Dach daher aber nicht. Der Weg war umso spannender. Wir kamen an Kindern vorbei, die uns Fotos mit ihrem Lama verkaufen wollten. Also wir hätten ein Foto mit ihrem Lama machen dürfen für Geld. Außerdem zahlreiche Wegverkäuferinnen von Souvenirs sowie einige Einwohner, die ihre Ernte mit Eselkaravanen über die Insel transportierten. Man grüßte freundlich. Zum Sonnenuntergang gingen wir durch den Wald oberhalb unseres Hostels und auf der Kuppe der Insel zum Restaurant "Las Velas" (Die Kerzen), in dem Gourmetköche ohne Elektrizität zum Sonnenuntergang leckere Speisen servieren wollen. Hier treffen sich dann endgültig nur noch westliche Touristen. Die Wartezeit war mit knapp 1,5 Stunden allerdings sehr happig, die Forelle danach dafür aber auch sehr lecker. Allerdings war irgendwas bei meiner Forelle wohl nicht so ganz in Ordnung, zumindest hatte ich am Morgen danach Bauchschmerzen und keinen Appetit beim Frühstück. Wir genossen zwar noch unser natürliches Wake Up Light (zuhause haben wir dieses Phillips Produkt, bei dem der Sonnenaufgang als Wecker simuliert wird) im Bett. Wir hatten dafür extra die Vorhänge zum See und zum Ort des Sonnenaufgangs hin aufgelassen über Nacht und tatsächlich wachte man mit der Morgenröte auf. Die Sonne war zunächst noch hinter dem größten Berg und erstrahlte dann von einem Moment auf den anderen unser Bett und das ganze Zimmer. Leider war ich nach dem Frühstück mit starken Bauchschmerzen wieder im Bett und hatte etwas Durchfall. Auch der Mageninhalt wollte ein paar Stunden später raus. Danach kam dann das Fieber, als ich dachte, dass es jetzt besser werden würde. Erst 38°C, dann 39°C. Abends kochte uns die nette Gastgeberin netterweise ein Abendessen mit Suppe und danach Reis mit Gemüse und Schnitzel (Milanesa). Die fettige Milanesa konnte ich noch nicht essen, aber vom Rest gingen schon wieder ein paar Bisse herunter. Am nächsten Morgen war ich mir noch nicht ganz sicher wie der Zustand ist, aber ich war motiviert genug an unserem letzten, ganzen Tag auf der Insel doch noch den Wanderweg auf der Insel anzugehen. Franzi hatte den Vortag genutzt, um ein paar Artikel über die Antarktiskreuzfahrt fertigzustellen, auf die ihr sicher alleine schon wegen der Bilder sehnsüchtig wartet. Zumindest werdet ihr demnächst mal im faszinierenden Südgeorgien ankommen 😊. Außerdem hat sie mich natürlich wieder hervorragend gepflegt während meines kurzen aber schweren Leidens.
An diesem sonnigen Morgen, der so sonnig war wie vermutlich jeder Morgen auf der Isla del Sol, beschlossen wir also die Insel zu bewandern. Die Anstiege machen einen auf dieser Höhe wirklich fertig, aber große Abschnitte verliefen auch flach oder leicht abschüssig, was unproblematisch ist. Die karge, hügelige Landschaft liefert wunderbare Ausblicke über die Buchten und Halbinseln der Insel. Positiv überrascht waren wir, dass wir niemandem ein Wegegeld zahlen mussten. Bei jedem Laden oder Verkaufsstand unterwegs rechneten wir schon damit. Als wir im Norden der Insel angekommen waren, hätten wir die nächste Inkaruine begutachten können, sowie eine heiligen Stein und einen Tisch aus Stein. Wir verzichteten auf das kleine Eintrittsgeld, sahen uns alles vom Weg aus, aus der Entfernung, an und fragten einen Guide, der gerade mit seiner Gruppe wegging, was es mit dem heiligen Stein auf sich hat. Er besitzt wohl sehr viel Energie und etwas war auch mit Gold und Silber. Wir haben auch mal gehört, dass der erste Inka/Quechua auf der Isla del Sol bzw. im Titicacasee entstanden sei und danach mit seinem Volk Cuzco in Peru gegründet hat. Das ist eine vage wiedergegebene Legende. Viel Energie gab uns auch der Küstenweg nach Challa´pampa, einem Hafendörfchen, von wo uns ein Schiff wieder zurück nach Yumani brachte. Fast mediterran wirkten die Buchten, die Kliffe, die vorgelagerten Inseln von unserem Wanderweg etwas oberhalb aus. Fast die ganze Insel ist außerdem terrassiert, so dass die Leute ihre Produkte auf den Hängen anbauen können. Alles erbaut aus den Steinen genauso wie die Wegbegrenzungen oder einige, einfache Häuser der Insel. Erneut positiv überrascht waren wir, als die Eintrittsfrau in Yumani unser Ticket von vor zwei Tagen akzeptierte und wir nicht erneut den Inseleintritt bezahlen mussten, nur weil wir mit dem Boot von einem Ort zum anderen auf der Insel gefahren sind. Franzi hatte sich über die Bootsfahrt gefreut aber vergessen, dass sie dann nochmal die Escalera del Inca hochlaufen muss. Sie bereute es stark schnaufend und unter wildem Herzschlag dennoch nicht. Ich war froh, dass ich den Ausflug so gut mitmachen konnte und fast 13 km gelaufen bin, obwohl ich am Vortag noch mit Fieber im Bett lag. Zum ersten Mal war ich allerdings langsamer unterwegs als Franzi. Sicherlich auch meinem Zustand geschuldet. Abends wagte ich mich nochmal ins "Las Velas" und diesmal ging es gut. Nach erneut 1,5 stündigem Warten kam die Pizza, auf die ich so große Lust hatte und von der ich dann nur zwei Stücke schaffte. Vorher musste ich noch mit Stirnlampe alleine durch den Wald hoch und runter, da wir das Geld im Hostel vergessen hatten. Danach ging es gemeinsam durch den Wald bergab ins sehr warme Bett, wo wir uns erholten bis die Sonne uns wachküsste. Nach dem Frühstück, das diesmal ganz schnell runter ging, hieß es mit Gepäck die Treppe bergab laufen bis zum Hafen. Der Transport mit dem Schiff nach Copacabana, die Wiederaufnahme unseres Restgepäcks aus dem Hotel sowie die Rückfahrt mit dem Bus nach La Paz gelangen dann reibungslos, was darauf hindeutet wie gut ausgebaut die touristische Infrastruktur hier ist und wie schlecht sie entsprechend in anderen Landesteilen ist (z.B. Trinidad).
Der Titicacasee ist nicht nur ein Sehnsuchtsort für Reisende sondern auch ein super Urlaubsziel. Vielleicht nicht für den Badeurlaub, aber es entsteht dieses Erholungsgefühl und dieser Stressabfall, den wir uns in La Paz jetzt erstmal wieder aufbauen werden. Möglicherweise liegt es ja auch daran, dass wir wieder auf einer Insel waren, dass es sich nach Urlaub anfühlt. Meisten gefallen uns Inseln zum Erholen sehr gut. Ischia, Kreta, Gran Canaria, Rapa Nui, Isla del Sol...
Kommentar schreiben