Vilcabamba
geschrieben von Timo
...wie schön liegst Du im grünen Tal zwischen den Bergen. So oder so ähnlich beschreibt der Lonely Planet die Kleinstadt in den Anden im Süden Ecuadors, in der mehrere Menschen, die über hundert Jahre alt geworden sind sowie das angenehme Klima und die schöne Berglandschaft viele Gringos angezogen haben, um hier ihren Lebensabend zu verbringen. Wir kamen auch am Abend an, um nicht zu sagen mitten in der Nacht. Das war auch so geplant, da der Bus aus dem Ort Jaén im Norden Perus an der schnuckeligen Grenze Zeit brauchte, auch weil die Beamten hier wirklich sehr gemächlich arbeiteten und das sogar ohne unser Gepäck zu kontrollieren. Außerdem hielten wir für ein Abendessen in Zumba auf der endlosen Schotterpiste durch die schöne, grüne Berglandschaft im Süden Ecuadors.
Wir haben problemlos 90 Tage Visum bekommen. Hoffentlich reisen wir schnell genug, um das nicht erneut aufzubrauchen wie zuletzt in Peru. Angekommen mitten in der Nacht an der dunklen Hauptstraße und als einzige 2km vor dem Ort ausgestiegen, fanden wir einen durch einen Zaun verschlossenen Eingang vor. Es gab keine Klingel, keinen anderen Eingang entlang der langen Grundstücksmauer und auf unsere Rufe hörte auch kein Nachtwächter, der uns angeblich aufmachen sollte. Insofern kletterte ich trotz Kopfschmerzen und starker Müdigkeit nach einem Tag im Bus und der Uhrzeit kurz vor dem Tageswechsel über den Zaun und lief einige Meter bergauf durch einen Garten bis zu einem verlassenen Rezeptionsbereich. Auch hier hörte niemand auf meine Rufe. Ich ging weiter bis zu einem Privathaus, doch auch hier reagierte niemand. Nur ein träger Hund lief hier herum. Erstmalig wünschte ich mir, dass der Hund doch bitte laut bellen würde. Aber es regte sich Garnichts. Ein Anruf über das WLAN, dessen Passwort hier im Rezeptionsbereich aushing, sorgte nur für ein Klingeln hinter dem Rollo der Rezeption, hinter dem offensichtlich niemand saß. Aufwendig hoben wir unser gesamtes Gepäck über den Zaun und Franzi folgte. Ihre Nerven waren schon sehr am Ende und daher fing sie an Türen von Wohnungen über der Rezeption zu öffnen. Nach Mitternacht weckte sie den dort schlafenden Dennis, ein Freiwilliger aus Guayaquil, der eigentlich der Barkeeper ist und wie sich später herausstellte genau an diesem neuen Tag Geburtstag hatte. Glücklicherweise war er super nett und verständnisvoll und entdeckte unsere Reservierung samt Schlüssel in einer Schublade. Zwischenzeitlich waren wir uns schon unsicher, ob wir im falschen Hotel waren. Er brachte uns zu unserer zu Fuß weit entfernten Unterkunft am anderen Ende des Geländes, wo wir nicht viel sprachen sondern nur noch duschten und ins Bett gingen. Auch eine Spinne von der wir unsicher waren, ob sie uns gefährlich werden könnte, wurde noch mit einem Schuh eliminiert. Als wir dann endlich KO im Bett waren, klopfte es an der Tür. Es war der Nachtwächter, der sich wunderte wie wir reingekommen waren und wollte, dass wir unsere Check- In Papiere ausfüllen. Dafür bekam er erstmal eine Standpauke von Franzi wo er denn vorher gewesen war und wie er sich jetzt noch erlauben könne nach den Papieren zu fragen. Er entschuldigte sich und bat uns nichts vom gescheiterten Empfang zu berichten bevor er verschwand. Dann war endlich Ruhe.
Am nächsten Tag gingen wir vorbei am Holzschild, das uns schon nachts aufgefallen war und dessen Aufschrift "Anti Stress Zone" wir zu dem Zeitpunkt als sehr provokant wahrgenommen hatten, hin zum Frühstück im Rezeptionsbereich. Jetzt war das Rollo hochgezogen und das Deutsche Empfangskomitee hinter dem Tresen, das mich an einen Deutschen Campingplatz erinnerte, wusste schon von unserer Geschichte. Reik aus Halle an der Saale, der mit seinen übrig gebliebenen, grauen Haaren einen Man Bun trug und schon seit über 20 Jahren hier arbeitet, konnte sich nach unserer Darstellung im Folgenden nicht zu einer Entschuldigung durchringen. Er sah den Fehler auch nicht beim Nachtwächter, sondern bei den Busfahrern, die uns beim Fußgängereingang des Grundstücks auf der falschen Seite rausgelassen hatten. Üblicherweise wird man wohl bei der Ausfahrt rausgelassen, die wir fast gefunden hätten, wenn wir noch ein Stück weiter am Grundstück entlang gegangen wären. Wir schlugen vor, dass ein Schild am Eingang, dass es noch einen zweiten Eingang gibt oder eine Klingel sicherlich geholfen hätte. Das wurde aber mit einem Lächeln überhört und nicht ernst genommen. Spätestens hier hätte man anhand der fehlenden Empathie und dem geringen Interesse an unserer Wahrheit und dem Beharren auf der eigenen Darstellung darauf kommen können, dass Reik in seinem früheren Leben Lehrer war. "Wir sind in Südamerika. Da passieren solche Abenteuer nun mal", war die unumgängliche Erklärung. Ein schlafender Nachtwächter, der seinen Job nicht richtig macht, konnte es nicht sein. Dass wir in 125 Unterkünften in Südamerika bisher nicht einmal über den Zaun klettern mussten, interessierte natürlich auch nicht. Wir aßen das sehr gute Frühstück und ich wollte schon wieder abreisen. Ich konnte mich dann aber abregen und statt vier Nächten blieben wir acht Nächte in der wunderbaren Anlage im Ort Izhcayluma über Vilcabamba.
Das Izhcayluma Eco Resort war wohl eine der ersten Gringo Einrichtungen in und um Vilcabamba. Heute wimmelt es hier von Schweizern, Deutschen, Amerikanern und Kanadiern. Die Landschaft könnte aus den Deutschen Alpen sein und das Klima ist ganzjährig angenehm. Hier werden Kaffee und Bananen angebaut. Kommt eigentlich jede Banane in Deutschland aus Ecuador? Die Berge um Vilcabamba werden mehr und mehr an die Ausländer verkauft, was die Preise treibt, aber auch für Arbeit sorgt. Die Deutschen in Izhcayluma haben die Zeit genutzt und eine wunderschöne Anlage geschaffen, die auch für Langzeitaufenthalte oder digitale Nomaden gedacht ist. Die Glasfaser und Rooter sorgen für schnelles Internet beim Frühstück mit Bergblick, in der Hängematte vorm Zimmer, in der Hängematte bei der Bar mit Billiard und Tischtennisplatte, am Pool oder in der Hängematte am Vogelbeobachtungspavillon mit Waldblick. Der Pool und der dazugehörige Wasserlauf ist mein Highlight in der Gartenanlage voller Blumen gewesen. Das Wasser fließt bergab durch Kanäle aus großen Natursteinen und fällt als kleiner Wasserfall in Becken, in denen man die Füße baden kann. Dann fließt es weiter bergab bis in den eigentlichen Pool, der ebenfalls über einen Wasserfall gespeist wird. Mir war das Wasser zwar meistens zu kalt, aber es war schon nett über eine Holzbrücke des künstlichen Wasserlaufes zu gehen. Auch einige Vogelarten lebten in der Anlage, die wir beobachteten. Kleine, knallgelbe Palmen Tangare, kleine, blaue Bischofstangaren und laute Blaßfußtöpfer. Mit der Merlin App, die ich seit unserem Manu Besuch installiert habe, kann man anhand des Gesangs die Vögel indentifizieren.
Wir spielten viel Billiard und Tischtennis, lagen viel in den Hängematten und am Pool und frühstückten jeden Tag ausgiebig den guten, lokalen Kaffee, das leckere, hausgemachte Vollkornbrot, den frischen Frucht Smoothie und die Früchte mit Joghurt und Zerealien. Zwischendurch plante Franzi nahezu wissenschaftlich unseren Galápagos Ausflug, so dass wir während unseres Aufenthaltes in Vilcabamba unsere Flüge buchen konnten. Etwas über drei Wochen werden wir im Archipel bleiben! Franzis Excel Datei weiß auch welches Tier es auf welchem Fleck der vielen Inseln gibt. Jetzt fehlen nur noch die Unterkünfte und Touren vor Ort. Das wollen wir aber noch flexibel halten, auch wenn wir schon eine Idee haben, was wir alles machen möchten. Fakt ist: es wird sehr teuer. Aber es soll ja auch eines unserer Reisehighlights werden.
Schön waren auch unsere Begegnungen mit zwei anderen Pärchen in der Anlage. Miska und Timo reisen auch schon seit September 2022 durch Südamerika mit ihrem in Brasilien gekauften Bulli. Sie waren auch gerade dabei ihren Galápagos Aufenthalt zu planen, was wir an Wörtern wie "Isabela" verstehen konnten. Ansonsten verstanden wir recht wenig, was daran lag, dass sie Slowakisch sprachen. Sie arbeiten sonst als Ärzte in Tschechien und haben versucht den neuen, populistischen Präsidenten in ihrer Heimat zu verhindern, was leider nicht gelang u.a. da ihre Wahlbriefe aus Lima nie ankamen. Im Übrigen waren es nicht die ersten Slowaken, die wir in Südamerika trafen. Von den großen EU Ländern fehlen nur noch Schweden und Polen. Ein anderes Deutsches Pärchen gab uns ein paar Tips zu den Galápagosinseln, da sie gerade dort waren. Nach ihren Erzählungen möchte ich auch unbedingt einen Spaziergang mit einem Blaufußtölpel machen, die wohl kaum scheu sind. Am frühen Abend gab es dann immer ein Abendessen auf der Terrasse, wo auch das Frühstück serviert wird. Mein Highlight war das Gulasch, wobei ich lieber die Brotknödel durch Reis ersetzen ließ. Die Käsespätzle enttäuschten leider, aber die Bauernpfanne war ähnlich reichhaltig wie in der Heimat. Am appetitlichsten war aber sicherlich der Anblick auf die Berge, die abends rasch in Dunkelheit gehüllt wurden sowie das Örtchen Vilcabamba im Tal, in dem die Lichter angingen.
Eine kleine Wanderung durch die Landschaft stellte kein großes Highlight dar. Umso besonderer sollte ein Ganztagesaustritt werden. Leider wurde er kurzfristig abgesagt, da ausgerechnet an dem Tag, an dem wir ihn machen wollten, ein unaufhörlicher Regen einsetzte. Theoretisch sollte es nun auch häufiger regnen, aber de facto hatte es seit Mai nicht geregnet. In anderen Worten: Pech gehabt! Stattdessen konnten wir es dann am darauffolgenden Tag versuchen und dann klappte es auch, da sich der Regentag als Ausnahme herausstellte. Ich war etwas skeptisch, da es nun statt einer Privattour eine Tour mit einem älteren Paar aus den USA war. Glücklicherweise beeinträchtigte das unser Erlebnis gar nicht. Sie war die erste Nataly auf unserer Reise, auch wenn man sie anders schrieb als meine Schwester, und zugleich die erste Kirgisin, die wir trafen. Beide leben im Norden Alaskas, wo 90 Tage kein Sonnenlicht zu sehen ist und Temperaturen von –60°C erreicht werden. Wenn man mit den Indigenen fischen bzw. "walen" geht, bekommt man einen Teil vom Wal ab. Ein Freund von Richard hatte mal 700 kg Wal bekommen. Wenn man ihn in ein Loch in den Boden legt, hält er sich, da der Boden gefroren ist. Allerdings soll die Waljagd nicht ganz ungefährlich sein und das Boot kann auch kentern, was bei den dortigen Wassertemperaturen gefährlich ist. Nun ging es aber auf Pferde zusammen mit René und seinem Sohn Fabio. Direkt zu Beginn des Ausritts durchschritten die Pferde einen Fluss in Vilcabamba und trabten und galoppierten danach sogar kurz. Beim letzten und dritten Ausritt von mir trabte mein Pferd auch erstmals kurz. Aber hier trabten wir fast permanent bis wir das Ende des Ortes erreichten. Und zum ersten Mal galoppierte ich also auch. Während das Traben sehr unangenehm die Innenseiten meines Oberschenkels aufrieb, gefiel mir der Gallopschritt sehr gut, da er schnell war und weitaus weniger unangenehm. Dann ging es allerdings gut 800 Höhenmeter erbarmungslos bergauf, was die Pferde wie Maschinen absolvierten. Mein Pferd Fuego musste allerdings ein paar Mal von Fabio gezogen werden, da es trotz meiner Bemühungen stehen blieb. Die Vegetation wechselte von Bananenplantagen über Wiesen für Rinder bis Nadelwälder, die wir seit Deutschland nicht mehr gesehen hatten. Unterwegs pflückten und naschten wir eine Frucht, die ähnlich zur Maracuyá war. Die Pfade waren schmal und obwohl René vorne viel mir der Machete arbeitete, mussten wir uns immer wieder Sträucher aus dem Gesicht streichen, Kletten vom Shirt entfernen oder dornige Ästlein aus der Hose ziehen.
Stark schwitzend erreichten die Pferde ihren Rastplatz von wo aus wir zu Fuß auf einem anspruchsvollen Pfad, der noch verwachsener war, abstiegen zu einem kleinen Bach. Der Weg war trotz Wanderschuhen steil und rutschig und die befestigten Seile an manchen Stellen bitter nötig. Nach einigem Waten bachaufwärts erreichten wir einen 80 Meter Wasserfall, der uns kleiner vorkam. Natürlich waren wir nach unserem letzten Wasserfallbesuch etwas enttäuscht, aber auch wenn man hier nicht richtig schwimmen konnte, war es sehr erfrischend in Badeklamotten kurz unter der kalten, natürlichen Dusche zu stehen und die Flasche aufzufüllen. Danach ging es fast genauso steil und rutschig bergauf wie es zuvor bergab gegangen war. Dabei passierten wir einen Podocarpusbaum, nach dem der angrenzende Nationalpark im Südosten Ecuadors benannt ist. Richard war nun ähnlich hart am Schwitzen und Arbeiten wie die Pferde zuvor, aber alle schafften es zurück zum Rastplatz, wo es Toast mit Käse aus Vilcabamba, Dosenthunfisch und Guacamole gab. Während wir Scheibe um Scheibe verschlangen, aß das Paar aus dem hohen Norden nichts.
Kaum waren wir fertig mit essen, saßen wir schon wieder zu Pferd und ritten bergab entlang der saftigen Berghänge und mit Blick auf das von der Sonne angestrahlte Vilcabamba mit seinem Hausberg in der Form eines liegenden Inkagesichts. Je weiter wir bergab stiegen, desto weniger hatte ich Kraft in den Beinen. Der Trab zurück im Tal mit Galoppeinlagen gab mir dann den Rest. Logischerweise entschied ich nicht wie schnell mein Pferd lief, sondern mein Pferd wenn es sah wie schnell das Pferd vor ihm lief. Während Franzi vollkommen begeistert nach dem ersten Mal richtig Reiten seit Ewigkeiten von ihrem Pferd Chiquetete stieg, das diesen langen, anstrengenden Weg zum ersten Mal überhaupt gelaufen war, fiel ich erschöpft aber kontrolliert vom Pferd auf ein Skateboard in der Ansammlung an Pferdeäpfeln auf dem Boden des offenen Stalls. Franzi kümmerte sich um Bezahlung und unsere Sachen, während ich vollkommen erschöpft dort saß. René fuhr uns zurück zum Resort, wo ich noch duschte und dann um 17:30 Uhr ins Bett ging. Ich war nicht müde aber vollkommen KO. Auch wurde mir kalt, während meine Stirn heiß wurde. Vermutlich ein kleiner Sonnenstich, den der Helm nicht verhindern konnte. Während ich nur noch im Bett lag, besorgte Franzi noch ein Abendessen und wir schauten Madagaskar zur seichten Unterhaltung. Am nächsten Tag, an dem wir abreisten, tat zwar immer noch einiges weh, aber ich war zumindest wieder selbstständig.
Vilcabamba ist wirklich ein guter Ort zum Chillen, der uns gut tat. Hier kann man nochmal herkommen, auch wenn die Deutsche Campingplatzatmosphäre und die Rentnergruppierungen nicht meine Lieblingsumgebung waren. Das Wetter und die Berge machen es aber zu einem wunderbaren Ort.
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