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Meine Heimat, der Betonturm mit Schießscharten

Mahjianglong

geschrieben von Timo

Für ein weiteres Welterbe verließen wir erneut den üblichen, westlichen Touristenpfad Chinas und stießen in eine ländliche Umgebung vor, die nicht weit entfernt lag von einer der am dichtesten besiedelten Regionen der Welt mit Shenzen, Hongkong und Guangzhou. Etwa eine Stunde fuhr der Schnellzug von Guangzhou Süd nach Kaiping. Einer Stadt die in Deutschland wahrscheinlich eine Großstadt wäre, aber hier eher wie ein Provinznest wirkt. Wir hätten ein einfach in Kaiping übernachten können, aber wir hatten uns entschlossen dass wir in ein Homestay reisen wollen, das sehr nahe an einer der Komponenten des Welterbes liegt. Also stiegen wir am erneut überdimensionierten Bahnhof von Kaiping aus und suchten erstmal einen Ticketschalter, um bereits eine Rückfahrt für zwei Tage später zu sichern und die Bearbeitungsgebühr online zu sparen. Es stellte sich heraus, dass man für den Ticketkauf wieder in den Bahnhof reingehen musste und damit auch erneut die Sicherheitskontrolle durchqueren musste. Die pragmatische Mitarbeiterin ließ uns die Rucksäcke an der Kontrollstation stehen lassen und nur mit Pass und Smartphone reingehen. Der Pass musste dennoch registriert werden. Wir konnten erfolgreich die Tickets buchen, auch wenn wir erneut nach Guangzhou fahren müssen, um danach mit dem Zug nach Zhuhai bei Macau zu kommen. Bereits in der Wartehalle buchten wir ein Didi zu unserer Unterkunft und in Sekundenschnelle wurde der Auftrag angenommen. Die Fahrer lauern schon vor der Tür des Bahnhofs. Unserer schien allerdings nicht so zufrieden mit seiner Entscheidung gewesen zu sein. Erst hupte er wild, als wir nicht sofort da waren und dann wirkte er während der 30 minütigen Fahrt immer frustrierter, dass wir so weit fuhren. Mit Trip.com wussten wir bei Google Maps wo die Unterkunft sein sollen. Die funktionierende Straßenkarte gibt es aber bei Organic Maps. So wussten wir am Ende im Dunkeln auch nicht so genau im Dorf wo die Unterkunft liegt. Glücklicherweise war sie ausgeschildert und als wir vor zwei schon angeleuchteten Betontürmen standen, wussten wir dass wir richtig sind. Der Fahrer fuhr davon und eine nette, ältere Frau die immer viel strahlte, begrüßte uns. Es lief hippe Musik und es wirkte wie eine sehr coole Unterkunft. Über eine halbe Stunde beantwortete die Gastgeberin uns Fragen. Eine der weniger schönen Erkenntnisse war, dass sie hier mitten in einem Dorf ohne Restaurant kein Essen anbietet. Es gab nur einige Packungen Instant Nudeln. Es sollte auch noch ein Restaurant im Ort etwas über einen Kilometer entfernt geben, aber wir hatten keine Energie mehr den Weg auf der dunklen Landstraße zurückzulegen. Stattdessen suchten wir uns jeder eine Packung Instantnudeln aus und Franzi bezahlte sie wie gewohnt mit WeChat. 

Die Bezahlung scheiterte allerdings. Wir probierten einiges, aber die Bezahlung scheiterte weiterhin. Franzi füllte ein Formular zur Authentifizierung ihrer Personalien aus, aber es ging weiterhin nicht. Auch mein WeChat funktionierte nicht mit derselben Fehlermeldung. Ich habe eine andere Kreditkarte hinterlegt. Es stellte sich heraus, dass die Frau Zahlungen mit internationalen Karten geblockt hatte. Das war uns bisher nicht passiert und bereitete uns Sorgen, dass wir das selbe nochmal in einer noch unangenehmeren Situation erleben könnten. Zwischendurch waren wir schon richtig niedergeschlagen und hungrig. Wir hätten den kleinen Betrag zwar auch mit den paar Scheinen, die wir an der Grenze gewechselt hatten, bezahlen können, aber dann wäre Franzi traurig gewesen, weil die Scheine dann vermutlich in ihrer Münzsammlung fehlen würden. Schließlich besorgte die Frau einen weiteren QR Code- vermutlich von einem Freund- und wir konnten sie endlich doch bezahlen. Uns zeigte es wie fragil das Bezahlsystem für China ist, gerade auch für uns als Ausländer. Wenn es nicht funktioniert ist man komplett aufgeschmissen. Tatsächlich funktioniert Franzis WeChat bis heute nicht mehr. Ihre Authentifizierung scheiterte aus technischen Gründen auf Seiten von WeChat und seitdem funktioniert ihre App nicht mehr richtig. Sie installierte sie neu wodurch sie auch alle Chatnachrichten verlor mit teilweise wichtigen Informationen, die wir dort von anderen erhalten hatten. Nun läuft eine neue Schleife mit dem Kundenservice die Authentifizierung abzuschließen, damit sie wieder bezahlen kann. Aber bis auf weiteres kann sie mit dieser Methode nicht mehr zahlen in einem Land, in dem keine andere Bezahlmethode außer per QR Code flächendeckend Glücklicherweise funktioniert noch mein WeChat und auch Alipay funktioniert bei uns beiden. Doch wer weiß wie lange das noch funktioniert? Tatsächlich fanden wir später am Bahnhof an Zhuhai heraus, dass auch ein schickes Lokal in der Mall keine Internationalen Karten akzeptiert, wenn sie bei Alipay oder WeChat hinterlegt sind. Die pragmatische Mitarbeiterin bot uns an den Preis direkt per QR Code an sie zu überweisen statt ans Restaurant und so funktionierte es dann. Aber wer weiß wie oft einem noch Knüppel zwischen die Beine gehauen werden wegen der Nationalität der Bankkarte. Das angeblich so einfache Bezahlsystem hat gerade für Ausländer dann doch einige Tücken. Wir überlegen nun doch noch Bargeld für den Notfall abzuheben.  

Unser Zimmer wirkte wie eine schick eingerichtete Ferienwohnung. Allgemein machte der Homestay den Eindruck für eine Urlaubsdestination für Familien mit Kindern und Auto oder auch für Veranstaltungen wie Hochzeiten. Für Backpacker war sie eher nicht geeignet, aber wir fanden unseren Weg. Kuriositäten im Zimmer waren der größte Fernseher, den wir jemals auf der Reise bisher im Zimmer hatten, eine Sitzheizung für die Klobrille, ein Spiegel, der das Licht mit einem Bewegungsmelder einschaltete und Handtücher, die in Plastik verpackt waren. Alles war sehr sauber und modern, aber kulturell etwas anders als in Deutschland. Komplikationen riefen wir auch hervor, als wir danach fragten unsere alten Flaschen mit Wasser aufzufüllen, statt die neuen Plastikflaschen zu verwenden, von denen zwei am Tag gestellt wurden. Es gab einen großen Wasserkanister, der wohl dem Ehepaar privat gehörte und den sie uns anboten. Allerdings erhitzte der elektronische Aufsatz das Wasser bereits auf dem Weg nach draußen und war prinzipiell dafür gedacht eine Teekanne auf einer Heizplatte zu füllen. Franzi schaffte es dennoch lauwarmes Wasser in alle Flaschen abzufüllen, die wir dann in unserem großen Kühlschrank im Zimmer über Nacht zum Erfrischen vorbereiten konnten. Am nächsten Tag hatten sie einen Wasserkanister mit elektronischem Aufsatz für uns vorbereitet, der das Wasser nicht erhitzte.  

Frühstück in der südchinesischen Provinz
Frühstück in der südchinesischen Provinz

Am Morgen standen wir vor der selben Herausforderung wie am Abend. Wir mussten die Unterkunft verlassen, um an etwas zu Essen zu kommen, das keine Instantsnudelsuppe war. Eines der zwei Mountainbikes ging leider nicht, daher blieben nur zwei Optionen: Zu Fuß gehen oder das Tandem nutzen. Vor etwa zehn Jahren hatten wir mal eine mittelmäßig spaßige Erfahrung als wir mit dem Tandem aus Syke zum Weserstadion gefahren sind und unterwegs regelmäßig die Kette raussprang. Dieses Mal sprang auch nach kurzer Zeit meine Kette raus, aber Franzi konnte uns vorne sitzend befördern, während ich mich hinten sitzend kutschieren ließ. Wir beide fanden diese Fortbewegungsart sehr unterhaltsam und sie unterhielt auch alle Dorfbewohner, die uns teilweise entgeistert anstarrten. Wir passierten einen Supermarkt und erreichten dann das von unserer Gastgeberin empfohlene Restaurant, das auch das einzige Restaurant war, das wir sehen konnten. Draußen saßen schon viele, alte Menschen und schauten uns verwirrt und gespannt an, als wir unser Tandem an der Straße vor dem Laden parkten. Schnurstracks gingen wir zur Verkäuferin, die Dumplings und Baos in weißen Metallkanistern aufbewahrte auf mehreren Levels. Außerdem aßen einige Menschen Nudelsuppe aus Metallschalen, die Franzi mit einem Hundekrog verglich. Unter den Plastiktischen auf dem Bürgersteig lagen zahlreiche Zigaretten, Pfützen aus Rotze und Halsschleim und Essensreste. Alles was am Tisch nicht gebraucht wird, kommt hier unter den Tisch. Tatsächlich war das Rotzen, Furzen und Rauchen weniger unangenehm vor dem Lokal, als ich es befürchtet hatte. Wir feierten eher das Erlebnis mit den Einheimischen und dass wir etwas leckeres zu essen bekamen. Franzi kann inzwischen die Füllung des Bao anhand seiner Oberflächengegebenheiten erkennen und hat damit das Platinlevel einer Bao Expertin erreicht.  

Man fühlte sich in der dörflichen Umgebung sehr willkommen und vor allem gut zum touristischen Highlight geführt.
Man fühlte sich in der dörflichen Umgebung sehr willkommen und vor allem gut zum touristischen Highlight geführt.

Es ging mit dem Tandem zurück und dann zu Fuß mit viel Wasser im Gepäck über einen großen Fluss zum Welterbe. Auf dem Weg überholte uns ein Shuttlebus, der leer war und zwei der vier unterschiedlichen Komponenten miteinander verbindet. Wir wussten, dass es um Betontürme gehen würde und um Auslandschinesen, was auch immer das bedeuten mag. Wir erreichten einen erneut sehr geräumig und schick gestalteten Eingangsbereich mit zwei großen und extrem sauberen Toilettenhäuschen, dem Shuttlebus und einem Gebäude für den Ticketkauf und Souvenirs und keinem einzigen Touristen. Nach dem unerwarteten Massentourismus zu Beginn unserer Chinareise in Ningming hatten wir auch bei diesem Welterbe mit mehr Menschen gerechnet. Die Tickets für drei der vier Welterbe Komponenten und den Shuttlebus sowie einem weiteren touristischen Ort, der mit dem Thema zu tun hat, waren extrem teuer. Um die vier Dörfer innerhalb von zwei Tagen besuchen zu können, zahlten wir knapp fünfzig Euro für beide. Die Infrastruktur zum Besuchen ist sehr gut, aber ich denke dass dieser Preis Welterbe Touristen abschreckt. Ich könnte mir aber vorstellen, dass Chinesische Touristen, die eine Mehrheit darstellen werden, nur eine Komponente für einen moderateren Preis anschauen würden.

Reis liegt nach der Ernte zum Trocknen auf den öffentlichen Plätzen des Dorfes.
Reis liegt nach der Ernte zum Trocknen auf den öffentlichen Plätzen des Dorfes.

Außerdem waren wir den gesamten Tag die einzigen, die den Shuttlebus nutzten, da die meisten Besucher die Dörfer vermutlich mit dem eigenen Fahrzeug ansteuern. So viel haben wir unserem Tandem dann aber doch nicht zugetraut. Zunächst liefen wir auf einem sehr gut ausgeschilderten Weg durch ein Dorf aus grauen Ziegelsteinhäusern. Alle Häuser standen nah beieinander und waren bewohnt- damit hatten wir vorab nicht gerechnet. Es war wohl gerade der Reis geerntet worden, auf jeden Fall lagen unzählige braune, ungeschälte Reiskörner auf dem Boden verteilt in der Sonne. Die Tour führte uns weiter in einen Bambuswald auf einem schönen Spazierweg aus Stein, auf dem uns einige Mücken stachen. Unser Moskitospray hatte uns ja eine Bahnmitarbeiterin Chinas abgenommen, da es 20 Milliliter zu viel Platz für das Spray bot. Wir nutzten den kleinen Rest aus einer kleinen Thailändischen Flasche, die klein genug gewesen war um von der Sicherheitskontrolle verschont zu bleiben. Es geht beim Aussortieren wohl explizit um Sprays in Druckbehältern, die größer als 150 Milliliter sind. Unsere Messer sind bisher in fünf Bahnhofs Sicherheitskontrollen verschont geblieben. Sie waren im Sommer ja noch eines der Hauptargumente gegen die Reise mit dem Chinesischen Schnellzug, da Franzi Angst hatte das Miniatur Schweizer Taschenmesser zu verlieren, das ihre beste Freundin ihr geschenkt hatte. Unser Weg im Dorf Mahjianglong führte uns weiter zu einer Plantage mit Sternfruchtbäumen, in der eine Parkbank stand, die eine willkommene Gelegenheit für eine kurze Pause bot.

Die Innenausstattung einer der Küchen in den Wohntürmen im Erdgeschoss
Die Innenausstattung einer der Küchen in den Wohntürmen im Erdgeschoss

Die Sternfrüchte waren aber im Gegensatz zu Rurrenabaque, wo wir ihren Saft sogar zum Frühstück bekamen, noch nicht reif. Uns beschäftigt im Moment nicht nur unser enormes Reisetempo zum Abschluss der Reise, sondern auch die Situation zuhause in Deutschland, wo meine Oma demnächst ins Hospiz gehen wird und ihre Wohnung, in der wir 2020 unsere Reise begonnen hatte und in der wir während der Pandemie dauerhaft gearbeitet haben und an die ich Erinnerungen aus meinem ganzen Leben besitzen, aufgelöst wird. Mich stresst das alles sehr und ich bin abgesehen von den schönen Momenten beim Sightseeing oder auch mal zwischendurch spontan ziemlich angespannt. Wir besuchten nach der Pause zwei der Wohntürme, für die wir unser Ticket am Eingang vorzeigen mussten. Beide sahen sehr ähnlich zueinander aus. Sie hatten viele Stockwerke, waren grau und aus Beton und hatten eine Art Terrasse oben auf dem Turm, die an mittelalterliche Wachtürme erinnerte. Auch gab es teilweise Schießscharten in der Außenmauer. Im Erdgeschoss war eine Küche, in der mir neben den Feuerstellen vor allem die riesigen Teller aus Bambus imponierten. Man fand hier auch landwirtschaftliches Gerät, denn die Menschen die hier lebten waren vermutlich Selbstversorger. So ganz klar war uns aber noch nicht warum sie hier eine halbe Militäranlage bauen ließen, wer sie überhaupt waren und vor wem sie sich zu schützen versuchten. Das wurde uns erst später klar beim Besuch des zweites Dorfes Zili.

Abgesehen von den schön bemalten Türstürzen waren die Steinhäuser der Dörfer etwas trostlos.
Abgesehen von den schön bemalten Türstürzen waren die Steinhäuser der Dörfer etwas trostlos.

 Man fand in den Türmen schwarz-weiß Fotos des Hausherren, seiner Frau und ggf. von seinem ältesten Sohn und dessen Frau. Es gab auf vier bis fünf Stockwerken, die steile Treppen verbanden, Schlafzimmer, Arbeitszimmer, Ankleidezimmer und viele Utensilien zu entdecken. Jedes Haus hatte im oberen Stockwerk einen meist schön verzierten Altar für die Ahnen, wie es die Chinesische Kultur vorgibt und wir es auch in Vietnam gesehen haben. Auch in den Peranakan Häusern war der Familienaltar ein wesentliches Element. Von der Oberfläche des Hauses hatte man einen weiten Blick über das Dorf und den naheliegenden Berg. Der Berg soll aussehen wie ein Drache und weil es auch noch einen Berg gibt, der aussehen soll wie ein Pferd, wurde das Dorf nach dem Zusammenspiel dieser beiden Tiere benannt. Die Hitze wurde langsam stärker und wir holten unsere Hüte heraus. Ein paar Chinesische Individualtouristen liefen hier auch herum, aber sonst waren wir die einzigen. Am schönsten fand ich die Malereien an den Hauseingängen in bunten Farben, die neben Kalligraphie Phönixe, Vögel und schöne Pflanzen darstellten und einmal auch ein Dampfschiff, das der Titanic vom Aussehen her ähnelte. Als wir den Rundkurs beendet hatten und zurück am Eingang waren, stand dort weder ein Shuttlebus noch sonst jemand. Angeblich sollte der Bus ja alle halbe Stunde fahren. Wir fragten an der Rezeption nach und kurz danach kam ein Auto vorgefahren. Der schicke Minivan stellte sich als unser Privatshuttle heraus. Dennoch fuhr er die Shuttlebus Route ab und brauchte eine Dreiviertelstunde statt zwanzig Minuten nach Zili, da er die Fahrplanzeiten des Busses einhielt. Wir blieben aber die einzigen Mitfahrer. 

Die sehr gepflegten Toiletten, die es auch in dieser Attraktion gab, kommen nicht von irgendwo her. Selbst hier auf dem Land gibt es ein konkret umgesetztes Konzept zur Erhaltung der Reinlichkeit der Toiletten.
Die sehr gepflegten Toiletten, die es auch in dieser Attraktion gab, kommen nicht von irgendwo her. Selbst hier auf dem Land gibt es ein konkret umgesetztes Konzept zur Erhaltung der Reinlichkeit der Toiletten.

In Zili nutzten wir die Gelegenheit im Eingangsbereich für ein Mittagessen. Während ich eine Nudelsuppe aß, glichen Franzis Chicken Nuggets mit Pommes sehr dem gleichen Gerich bei McDonalds. Vielleicht war dieser Laden die Inspiration von Ronald süß-saure Sauce zu den Nuggets dazu zu geben? Die Mittagshitze war nun recht stark und wir trugen die Hüte und kauften uns noch ein Magnum zum Abkühlen. Alle Ausstellungen hier waren nur auf Chinesisch und wir schauten uns lieber das Welterbe an als uns aufwändig durch die Übersetzungen mit Google Translator zu arbeiten. Es ging landschaftlich schön an einem Lotusteich vorbei, der aber derzeit vollkommen verblüht ist, zum Dorf das Mahjianglong glich. Allerdings sahen wir im Hintergrund schon deutlich spektakulärere Türme und es waren auch wesentlich mehr Touristen zugegen sowie zwei Chinesische Tourgruppen mit Guides, die durch ein Mikrofon redeten. Die Innenausstattung der Türe glich denen im ersten Dorf, aber es gab noch mehr Details und alles sah in einem etwas besseren Zustand aus. Englischsprachige Whiskykisten und Gemälde von riesigen Dampfschiffen verstärkten den Eindruck, dass die Besitzer ihr Geld in Übersee gemacht hatten.

Schönes UNESCO Logo in der Form der Wohntürme (links). Noch besser gefiel mir das Windspiel aus Teetassen in der Form eines Turmes (rechts).
Schönes UNESCO Logo in der Form der Wohntürme (links). Noch besser gefiel mir das Windspiel aus Teetassen in der Form eines Turmes (rechts).

Auch gab es in jedem Gebäude riesige Reisekisten, die Backpacks der Zeit vor ungefähr hundert Jahren. Vermutlich hatte mein Uropa auch so eine Kiste, als er mit dem Dampfer nach Chicago fuhr, um dort zu arbeiten. Der Blick von der Terrasse oben auf dem Turm auf die anderen Türme und die grün und gelb leichtenden Reisfelder in der Umgebung war das Spektakulärste, was wir an diesem Tag sahen. Auch die Gärten um die Häuser herum waren gepflegt und wenn hier Kaffee und Kuchen angeboten worden wären, hätte man uns dort sicherlich sitzend angetroffen. Hinweisschilder auf Englisch vor jedem Turm verrieten uns, dass die meisten Besitzer Rückkehrer aus Kanada und den USA waren und einige hier ihre Rente in der Heimat verbringen wollten. Andere schienen die Türme für ihre Familien bauen zu lassen, auch wenn sie selber in Übersee blieben. Ganz klar wurde es aber nicht immer. Das Welterbe macht die Vermischung westlicher und Chinesischer Architektur aus sowie der Wehrcharakter der Türme. Inzwischen hatten wir verstanden, dass Banditen die reichen Familien mit Einkommen aus Übersee zu der Zeit zwischen der letzten Kaiserdynastie und der ersten Republik in China (1912) regelmäßig überfielen und teilweise kidnappten. Die Dorfgemeinschaften versuchten sich durch ihren Aufbau und ihre Architektur vor den Banditen zu schützen.

Wohntürme in Zili mit einem verwelkten Lotusblütensee im Vordergrund
Wohntürme in Zili mit einem verwelkten Lotusblütensee im Vordergrund

Heute wirken die Dörfer total friedlich und Banditen haben denke ich sowieso schlechte Karten in einem Überwachungsstaat. Dabei muss ich an ein Comicvideo im Schnellzug denken, wo Vergehen präsentiert werden wie sexuelle Belästigung, auf die Gleise laufen und Ähnliches und der arme Hauptcharakter am Ende immer weinend im Gefängnis sitzt. Das Video ist natürlich nur eine Warnung, aber so ähnlich wird es vermutlich laufen angefangen mit den Kameras, die überall zu sehen sind. Ich muss dabei immer an ein Zitat von Benjamin Franklin denken: „Eine Gesellschaft, die Ihre Freiheit zugunsten Ihrer Sicherheit opfert, hat beides nicht verdient.“. Der Mittelweg ist vermutlich wie so oft der Beste, auch wenn er unglücklichen Ausschläge in beide Richtungen Möglichkeiten gewährt. Am späten Nachmittag sprinteten wir zu unserem Shuttlebus, den wir schon losfahren sahen. Netterweise hielt der Bus nochmal für uns an, auch wenn der Fahrer etwas stöhnte, weil er nun eine Minute zu spät war. Der große Bus, der vom Aussehen einem Linienbus glich, aber eine schöne Bemalung mit den Türmen von außen hatte, war auch jetzt wieder vollkommen leer. Im Allgemeinen scheinen alle anderen Gäste mit dem eigenen Auto anzureisen oder mit Tourgruppen. 

Gepäck für Übersee aus unterschiedlichen Jahrhunderten und für unterschiedliche Zwecke
Gepäck für Übersee aus unterschiedlichen Jahrhunderten und für unterschiedliche Zwecke

Unser letzter Halt war Li Garden. Dieses Dorf scheint von einem sehr reichen Überseechinesen angelegt worden zu sein und es gibt einen großen, schönen Garten und einige Villen und Pavillons. Es ist allerdings keine Komponente des Welterbes. Für mich war aber das Highlight die Ausstellung, die uns nochmal mehr Eindrücke von den Überseechinesen bereitstellte und auch Erklärungen zu den Türmen und Dörfern auf Englisch. Der Mann, der den Garten anlegen ließ, hatte sein Geld in den USA gemacht mit einem Geschäft, dass Chinesische Produkte vor allem für die Gesundheit verkaufte. Später expandierte er in andere, Amerikanische Städte und dann auch nach Hongkong und Europa. Am Spannendsten fanden wir ein Video, in dem Bilder von Überseechinesen bei ihrer Arbeit in Übersee mit Untertiteln auf Englisch gezeigt wurden. Leider lief die Diashow so schnell, dass man die Texte nur lesen konnte, wenn sie nicht so lang waren. Man sah aber Chinesen beim Bau der Eisenbahn in den USA, beim Abbau von Guano auf den Inseln im Pazifik vor der Peruanischen Küste, die wir letztes Jahr besucht hatten, oder Feierlichkeiten in den Chinatown der Welt, wo die Emigranten lebten. Später erfuhr ich von unserem Gastgeber dank Google Übersetzer, dass sein Urgroßvater in New York als Investmentbanker gearbeitet hatte und die zwei Türme vor unserem Homestay bauen ließ.

Die Villen im Garten waren etwas anders als die Wehrtürme in den anderen beiden Dörfern. Sie wirkten mehr schick und weniger funktional. Ein Haus besuchten wir noch von innen ehe die Mitarbeiterinnen es wie die anderen Häuser zwanzig Minuten vor Schließzeit verriegelten. Wir hatten aber auch langsam genug gesehen. Wir schlenderten durch den schönen Park bei Sonnenuntergang und waren froh, dass ein Didifahrer unseren Auftrag annahm und uns bei der Touristenattraktion abholte, bei der wir die letzten Besucher des Tages waren. Sonst wäre es wieder ein Abenteuer geworden nach Hause zu kommen wie neulich schon in Ningming. Erschöpft führten wir zuhause noch ein Telefonat mit meinem Vater wie es nun weitergeht mit der Wohnungsauflösung meiner Oma und mit ihr selber und dann war ein erneut sehr eindrucksvoller, anstrengender, aber auch schöner Tag vorbei. 

Am nächsten Morgen hätten wir noch abenteuerlich zu den anderen beiden Komponenten des Welterbes Jijiangli oder Sanmenli fahren können. Sanmenli wurde noch nie von einem Welterbegemeinschaftsmitglied besucht und ist vermutlich einfach ein Dorf und nicht touristisch. Ich hatte allerdings bereits genug vom Welterbe gesehen und der Transport wäre vermutlich abenteuerlich geworden, da sowohl die Dörfer als auch der Bahnhof recht abgelegen sind. Stattdessen fuhren wir erneut mit dem Tandem zum Frühstück und zurück und bestellten uns ein Taxi von unserem Gastgeber, damit wir rechtzeitig zum Zug kommen. Statt gemeinsam noch etwas durch das Dorf unseres Homestays zu laufen, stritten wir heftig auch weil ich weiterhin sehr angespannt bin. Manche behaupten ja unsere Reise sei Urlaub, aber bei den Ansprüchen die wir an uns selber stellen, ist die Reise manchmal anstrengender als das routinierte Arbeitsleben zuhause. Neben den Regelmäßigen Aktivitäten wie dem Vorbereiten von Unterkunft, Transport und Sehenswürdigkeiten kommen bei mir noch das Schreiben des Blogs, das Sortieren und Benennen der Highlight Bilder und das Dokumentieren aller Ausgaben dazu. Darüber hinaus stehen im Moment noch weitere Aufgaben an wie die Wohnungsübergabe mit unserem Untermieter in weniger als einem Monat, die darauffolgende Renovierung unserer Wohnung, die Jobsuche, Weihnachten, das Planen unserer Hochzeit und einiges mehr. Wir müssen schauen, dass wir den Übergang zuhause gut schaffen und uns nicht erschlagen lassen von diesem Berg an Aufgaben. Dazu kommt nun noch die Auflösung der Wohnung von Oma in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, wo noch Utensilien und Möbel von uns stehen und die mich auch emotional mitnimmt. Auf der Fahrt Richtung Macau mit dem Schnellzug stellten wir dann fest, dass die winzige Sonderverwaltungszone extrem teuer ist und erst recht am Wochenende überfüllt. Außerdem kam während der Fahrt noch die Nachricht aus Deutschland rein, dass mein Opa für immer eingeschlafen ist. Das hatte sich zwar angedeutet, war aber trotz  jahrelanger Krankheitsgeschichte ein Schock und brauchte Zeit verdaut zu werden. Wir beschlossen kurzerhand in Zhuhai, der Grenzstadt in China neben Macau, ein Apartment zu buchen und einen Tag Pause einzulegen. Ich bin jetzt schon urlaubsreif und weiß noch nicht wie ich den Berg an Aufgaben und Belastungen in den nächsten Monaten bewältigen soll. Ich hoffe ich schaffe es alles Schritt für Schritt anzugehen und nicht zu zerbrechen, um den Übergang in ein schönes Leben in Hamburg zu schaffen und gleichzeitig noch ein paar Reiseziele bis Ende November mitzunehmen.  

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